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Der Focusing-Blog

Das Freiraumkonzept im Focusing

Das Freiraumkonzept im Focusing

Ein Beitrag von Bettina Markones

Das Freiraum-Konzept von Eugene Gendlin[1]

Freiraum schaffen ist der erste, bedeutsame Schritt im Rahmen eines Focusing-Prozesses[2]. Das Freiraum-Konzept von Gene Gendlin beinhaltet drei Arten von Freiraum.

Äußerer Freiraum

Wir alle kennen es, dass durch ungünstige äußere Bedingungen auf einmal die Leichtigkeit und / oder Freude an etwas verloren geht. Häufige Faktoren, die zum Verlust des äußeren Freiraumes führen, sind beispielsweise Zeitdruck, Lärm, Müdigkeit, Hunger und ähnliche Faktoren. Jeder Mensch hat seine eigenen Anfälligkeiten, von denen es gut ist, sie zu kennen.

Ich habe für mich festgestellt, dass Lärm mir sehr schnell den Freiraum nimmt. Was ich aber gut aushalten kann, ist, wenn der erhöhte Geräuschpegel durch fröhliche, entspannte Kinder entsteht, die gemeinsam etwas erforschen oder unternehmen. Diese Differenzierung hat mir geholfen, für mich besser zu erkennen, warum mir z.B. manchmal die Lautstärke im Klassenzimmer zu hoch war, als ich als Lehrerin gearbeitet habe, und warum es bei anderen Gelegenheiten einfach nur gut war, dass viele Stimmen im Raum herumschwirrten. 

Ich würde Sie gerne einladen, für sich selbst zu suchen, was Ihnen den äußeren Freiraum nimmt. Denn wer seine Bedürfnisse kennt, kann besser für sich sorgen.

Der äußere Freiraum ist der erste Schritt, der hergestellt werden muss. Dies muss nicht unbedingt lange Zeit dauern und ist oft auch nicht weiter nötig, wenn alles passt.

Innerer Freiraum

Innerer Freiraum bedeutet, dass es mir möglich ist, einen guten Abstand zu meinen Problemen, Themen, Emotionen etc. herzustellen. Verloren geht der innere Freiraum zum Beispiel durch unterschiedliche, entgegengesetzte Aufträge oder Erwartungen; schwerwiegende, akute Konflikte mit nahestehenden Menschen; zu viele Probleme und Belastungen gleichzeitig, die gerade nicht lösbar sind oder so erscheinen; starke Schmerzen oder unterdrückte Krankheiten; psychische Erkrankungen wie z.B. Depression, Angststörungen etc. oder Traumatisierungen.

Das Freiraumschaffen ist hier besonders wichtig und nimmt oft einige Zeit in Anspruch, da gerade Menschen in belastenden Situationen oft mit den Konflikten, Sorgen oder Gefühlen identifiziert sind. Dann gibt es neben der aktuellen Sorge oder den Emotionen nichts anderes mehr.

Wer mit dem Computer arbeitet, kennt das schon: Solange ich ein Programm offen habe und damit arbeite, kann ich nichts an den Grundeinstellungen verändern. Ich muss erst das Programm schließen.

Stellen Sie sich vor, irgendetwas bereitet Ihnen so große Sorgen, dass nichts daneben Platz hat. Sie sind so voller Sorge, dass alles andere, was sonst noch in Ihrem Leben ist, nicht mehr wahrgenommen werden kann. Wie wunderbar ist es, dann wieder etwas inneren Abstand zu all dem zu bekommen und den Körper, der ja die Last mitträgt, etwas zu entlasten.

Als erster Schritt auf dem Weg zum inneren Freiraum ist es hilfreich, dass das, was immer auch da ist, erst einmal da sein darf. Eine Anerkennung: So ist es gerade und es geht hier nicht darum, etwas „wegzumachen“. Wie dieses „da sein lassen“ aussieht, ist unterschiedlich, in der Art und Zeitdauer. Es ist oft mehr die innere Haltung beim Begleiter und dem, der gerade versucht, wieder Freiraum zu finden. Freiraum schaffen ist kein Zaubertrick, mit dem Sachen schnell mal gelingen.

Ist klar, was gerade den Freiraum nimmt, dann geht es darum, all das zu einem „Thema“ zu machen. Wir lassen alles, was zu dem gehört, was inneren Freiraum nimmt, zu einem Ganzen werden. So wie auf meinen Kartons Aufschriften sind wie: Spiele, Bastelmaterial etc., so geben wir dem dann einen Namen, eine Bezeichnung. Dieser Name kann in der inneren Achtsamkeit gut gefunden werden.

Nun haben wir schon mal einen kleinen Schritt getan: Es gibt ein „Ich“ und ein „Etwas“. Schon dadurch kommt ein wenig Freiraum zu Stande. Als nächstes kann der Vorschlag kommen, doch imaginär einen guten Ort für dieses „Etwas“ zu suchen. Es muss nicht unbedingt im Körper bleiben. Die große Sorge geht nicht verloren, wenn sie in einer Schale in meinem Regal steht. Wie groß der Abstand sein kann, hängt vom Spüren und der Imagination des Focussierenden ab. Der gute Ort kann direkt neben ihm sein, oder auch auf dem Mond.

Dies ist das sogenannte Herausstellen. Der Körper kann ein bisschen aufatmen und der Focussierende kann wieder Bezug auf das nehmen, was da als „Etwas“ da ist.

Wem das imaginäre Herausstellen nicht passend erscheint, der kann es auch handfester tun. Dies ist der Weg, den ich auch mit den Kindern bevorzuge. Das Gespürte zu dem „Thema“ kann aufgemalt werden, der Zettel wird an einem guten Ort verwahrt. Häufig ist es hilfreich, wenn es Bewacher oder Beschützer für die bemalten Zettel gibt. In meiner Arbeit vertrauen viele Kinder mir ihre „Sorgenzettel“ an. Es kann aber auch ein Engel oder der Hund in der Hundehütte sein, das alles entscheidet dann das Kind. Wer nicht malen möchte, kann sich auf die Suche machen nach einem passenden Platzhalter. Das kann ein einfacher Holzbaustein sein, ein Gegenstand aus der Natur oder etwas ganz anderes. Es ist sehr eindrücklich, dann mit dem Abstand zu diesem Platzhalter zu experimentieren. Es ist ein anderes Spüren, wenn der Gegenstand direkt vor mir ist oder hinter der Zimmertüre.

Eine verbale Möglichkeit bei heftigen Gefühlen ist das sogenannte Partialisieren.[3] Dies geschieht, indem man das Gefühl oder Thema benennt, aber „Etwas in dir“ oder „Ein Teil von dir“ davorsetzt. Das hört sich dann z.B. so an: “Ein Teil von dir ist in großer Sorge.“ Das Implizite: „Es gibt noch andere Teile von dir“ muss nicht gesagt werden, es schwingt mit. Auch so kann innerer Freiraum wieder neu hergestellt werden.

Beziehungsfreiraum

Die beiden Punkte 1 und 2 sind in der Arbeit zu zweit oder mehr Personen wichtig, aber auch beim Focusing mit sich allein. Der Beziehungsfreiraum bezieht sich allerdings auf begleitetes Focusing. Hier muss die Beziehung frei sein von unausgesprochenen Erwartungen, Belastungen, unterschiedlichen, entgegengesetzten Aufträgen und anderen Störungen. Es leuchtet ein, dass sich ein Mensch nicht öffnen mag, wenn der andere z.B. direkt davor harsche Kritik geübt hat oder den Prozess in Richtung Symptombeseitigung steuern will. Da braucht es erst einmal eine Klärung, ob und wie der Beziehungsfreiraum wiederhergestellt werden kann.

 

[1] Markones, Bettina (2021) „Wohin mit Kummer und Sorgen“, Begleitheft, Verlag wwwfischundschildkroete.de

[2] vgl. Gendlin, 2001, S. 64f.

[3] vgl. Stumm, Wiltschko & Keil, 2003,  S. 207ff.

Herzlichen Dank an den Verlag fischundschildkroete.de für die Abdruckgenehmigung.

 Auf der Verlagsseite  gibt es ein Video zum Bilderbuch, das ich sehr gerne benutze, wenn ich mit Gruppen und Unterklassen Freiraum schaffen einführen will. Es ist in einer Kooperation mit Monika Timme als Sprecherin entstanden. Für die Internationale Kinderfocusingkonferenz wurde dann das Video auch in Englisch hergestellt. Mein großer Wunsch wäre es, wenn es das Video auch in ukrainischer und arabische Sprache geben könnte. Vielleicht fühlt sich ja jemand berufen ...


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