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Der Focusing-Blog

Prozess-Denken - Prozess-Vertrauen - Prozess-Interventionen im Focusing

Prozess-Denken - Prozess-Vertrauen - Prozess-Interventionen im Focusing

 

Der aus sich selbst heraus vorwärts tragende Prozess

von Klaus Renn

 

Sowohl in der Gesellschaft als auch bei allen Lebewesen finden sich unendlich viele Prozesse parallel, ineinander und gegeneinander. Das Ziel dieses Textes ist es, das Verständnis von Prozess-Denken in der Focusing-Arbeit zu vertiefen.  Dabei handelt es sich um spezielle Körper-Lebensprozesse, die aus sich selbst heraus geschehen und allem Lebendigen eigen sind. Auch in biologischen und bestimmten sozialen Prozessen ist diese Art von Prozess zu entdecken. Eugen T. Gendlin, der Gründer von Focusing, beschreibt in seinem großen Werk „Ein Prozess Modell“ diese Prozesse in tiefer Genauigkeit.

Laut Duden stammt das Wort „Prozess“ vom lateinischen processus, was „das Fortschreiten“, „der Fortgang“ oder „der Verlauf“ bedeutet, abgeleitet von procedere, „fortschreiten“. Ein Prozess beschreibt also einen Vorgang, der sich über eine gewisse Zeit erstreckt, bei dem etwas allmählich entsteht oder sich herausbildet. Synonyme sind unter anderem Ablauf, Verlauf oder – in einem tieferen Verständnis – Geschehen (Duden 2024). Der Begriff „Prozess“ kann je nach Kontext die unterschiedlichsten Bedeutungen tragen. So trägt “Prozess“ in der Entwicklung von erneuerbarer Energie andere Bedeutung als ein „Prozess“ in der Entwicklungspsychologie. Auch ist der Prozess in der Verhaltenstherapie anders gefüllt als der Prozess in der Focusing-Therapie. Jede therapeutische Schule hat eigene Prozesse, die nicht auf andere 1 zu 1 übertragbar sind.

 

Sprache und Prozess-Denken

 Unser Denken und Erleben ist tief von unserer Sprache geprägt und darin verwurzelt. Wobei die europäischen Sprachen stark von einer statischen Weltsicht geprägt sind. Europäische Sprachen neigen dazu, Tätigkeiten immer einer konkreten Person oder einem Subjekt zu zuordnen. So sagen wir etwa „das Flugzeug fliegt“ oder „ich gehe einkaufen“. Diese Struktur unserer Sprache lenkt unsere Wahrnehmung darauf, dass eine Handlung immer von einem Subjekt ausgeführt wird. Im Gegensatz dazu betont die Prozesssprache das Geschehen selbst (das Prädikat): „Da ist Fliegen“ anstelle von „das Flugzeug fliegt“. Dass ein Prozess aus sich selbst heraus geschieht, ist unseren europäischen Sprachen und unserem Denken erst einmal fremd.

In der chinesischen Sprache gibt es Schriftzeichen, die das fortlaufende Geschehen im gegenwärtigen Moment ausdrücken. Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist „“ (Dào), was im Daoismus als „der Weg“ oder „das Prinzip des natürlichen Flusses“ verstanden wird. Dieser Begriff beschreibt nicht nur einen statischen Weg, sondern auch den kontinuierlichen Prozess des Geschehens, der sich im Einklang mit der Natur entfaltet. Ein weiteres Wort, das den Fluss des gegenwärtigen Augenblicks beschreibt, ist „“ (shì), was „Geschehen“ oder „Ereignis“ bedeutet. Es drückt aus, was gerade passiert, ohne dass es einem bestimmten Subjekt oder einer Sache zugeschrieben wird.

Beide Begriffe verdeutlichen das Geschehen als etwas, das sich in der Gegenwart kontinuierlich entfaltet, ohne dass ein konkreter Akteur im Vordergrund steht, was dem Prozess-Denken im Focusing nahekommt.  Dabei öffnen sich Fragen, angesichts des jahrhundertelangen diktatorischen autoritären Regimes in China. Sprache hat wohl ihren Einfluss – aber was vernichtet ihre Power zu freien Lebensprozessen?

Auch im Hebräischen gibt es ein Konzept, das ähnlich wie im Chinesischen das fortlaufende Geschehen im Jetzt ausdrückt. Das hebräische Verb **"היה" (haya)**, das „sein“ bedeutet, wird in einer Art und Weise verwendet, die das Geschehen und die Existenz im Fluss der Zeit ausdrückt.  Haya  umfasst verschiedene Zeitebenen, es ist das vergangene ebenso wie das gegenwärtige und was in der Zukunft sein wird, ohne sich auf ein Subjekt oder Objekt zu fokussieren.

Ein weiteres relevantes Wort im Hebräischen "נִהְיָה" (nihya) ist, das „Entstehen“ oder „Geschehen“ bedeutet. Dieses Wort vermittelt die Idee eines Prozesses oder Geschehens, das sich entfaltet, ähnlich wie im Focusing, wo das Erlebte im Moment auf natürliche Weise entsteht.

Im Hebräischen wird Sein und Werden mit dem gleichen Wort ausgedrückt. So ist Gott auch ein seiender Prozess: „Ich bin der ich Sein werde“ so spricht Gott zu Mose am brennenden Dornbusch. Die griechische Sprache denkt abstrakt, linear, in logischen Entwicklungszusammenhängen. Der Hebräer liebt es, einen Gegenstand mit den Gedanken zu umkreisen und ihm dabei immer wieder neue Aspekte abzugewinnen (Kreisdenken). Im Hebräischen wird in einem Zustand (dem Gewirkten) vor allem das Ergebnis einer Tätigkeit (eines Wirkens) gesehen. Dementsprechend wird das Sein einer Sache schlicht und ergreifend mit ihrem Werden umschrieben. Hier werden das Sein und das Entstehen als dynamische Prozesse betont, was gut zum Verständnis von Prozess-Denken passt, bei dem das Geschehen im Mittelpunkt steht und nicht eine handelnde Person oder ein statisches Objekt.

 

Prozesssprache

In der Prozesssprache wird der Prozess selbst in den Vordergrund gestellt, unabhängig davon, wer ihn ausführt. Es geht also nicht um das Flugzeug, sondern um das Fliegen als Vorgang.

 „Ich“ gehe einkaufen, das „Ich“ geht einkaufen. Was auch immer du formulierst, es ist immer in dieser Art. Es ist etwas oder ein jemand, z.B.  der Stein zerfällt. Was auch immer wir sagen, findet in dieser Grundstruktur statt.  Prozess-Denken ermöglicht eine andere Sicht auf Ereignisse und unterstützt eine tiefere Wahrnehmung des Geschehens, ohne es sofort an eine konkrete Person oder Sache zu binden. Gendlin fordert uns im „Ein Prozess Model“ mit dem Konzept der Umwelt heraus, diese Art der Perspektive zu fassen. Bei ihm ist diese bedeutsame Sicht im Wort „Geschehen“ (es geschieht, da ist ein Geschehen) zu finden. In seinem Konzept von „Umwelt II“ findet sich das Geschehen, das augenblickliche jetzige Geschehen; „es“ ereignet sich etwas und das ist das Wichtigste. So lebt das Leben.

Die Katze springt der Maus nach: Da ist „springen“. „Ah, es springt“ - wenn ich dieses jetzige Jetzt in der Therapiesituation mit Saying back treffe und in körperlicher Bezugnahme formuliere (impliziere), dann wird dieser Prozess hervorgehoben und über den Körper sogleich verwesentlicht, vertieft - und etwas Neues entsteht. Unsere Sprache bringt uns vom Prozess weg, sie erschwert den Zugang zu dem, was abläuft.  Focusing bezieht sich auf einen bestimmten Prozess hinter den Worten.  Worte und Sprache erschaffen einen eigenen Bedeutungsprozess, der sich über die darunter liegende Wirk-lichkeit legt. Gendlin betont immer wieder, dass der Felt Sense hinter/unter der Sprache liegt (auch hinter unserer Grammatik).  Nach Gendlin ist Sprache ein körperlicher Prozess, der die impliziten Bedeutungen trägt und symbolisiert.  Also, der Focusing Prozess geschieht unter dem emotionalen Prozess, hinter dem imaginativen Prozess und hinter dem gespürten Körperprozess. Focusing will zum impliziten Prozess, zum Felt Sense. Für Sprechen, das über den impliziten Erlebensfluss hinweg spricht, hat Gendlin einen Begriff, der kaum zu übersetzten ist: „aboutness“, übersetzt mit „Worüberheit“ (PM S. 249).

Beispiel 1 für Prozess: Nehmen wir an, Mann und Frau finden über Tinder, oder beim Kegeln eine*n Partner*in.  Ist diese Person in jeglicher Hinsicht noch so ideal, oder „verschroben“, so entscheidet doch deren Prozess (deren Geschehen) über Glück und Unglück. Das Geschehen zwischen/mit den Beiden, untrennbar verbunden mit dem Geschehen in deren Umwelt, bewegt das, worauf es ankommt. Denn in den Prozess der Beiden geht Alles mit ein (Gendlin: impliziert sich Alles mit Allem): Beruf, Wohnungssituation, Geld, Freunde, und und und. Aus diesem sich andauernd wandelnden Prozess, dem „Alles“, entsteht das Beziehungsgefühl und die Verbindung zwischen den Beiden.

Beispiel 2 für Prozess: Das Flugzeug fliegt, Subjekt: Flugzeug, Prädikat: fliegt. Das Flugzeug macht das Fliegen. Vom Flugzeug aus wird gedacht. Prozessverständnis: „da ist fliegen“: Nach einer Flugreise bewerten wir den Prozess des Fliegens. Wichtig ist uns der Flugprozess und der ist mehr als ein, hoffentlich gutes, Flugzeug. In diesen Flugprozess geht mit ein: das Wetter, das Essen, die Sitzverhältnisse, das eigene Wohlempfinden, die Freundlichkeit des Personals und nicht zuletzt, wieviel Drogen der Pilot zu sich genommen hat und vieles mehr. Der Prozess ist das, was uns angeht, uns berührt.

 

Feltsensing

In den englischsprachigen Ländern setzt sich der Begriff „feltsensing“ immer mehr durch. Das Kontinuum „-ing“ gibt der Sprache mehr Prozesshaftigkeit. Deutlich wird, „der Felt Sense“ ist nicht ein statischer Zustand, sondern ist in jedem Augenblick schon wieder ein neuer Felt Sense. Und schon im Symbolisierungsprozess ist der Felt Sense wieder neugestaltet. Diese andauernde Veränderung kann mit feltsensing sehr stimmig zum Ausdruck gebracht werden.

 

Der politische Aspekt des Prozess-Denkens

 

Prozess-Denken hat nicht nur therapeutische und psychologische Implikationen, sondern auch tiefgreifende politische Dimensionen. Die Art und Weise, wie wir Prozesse wahrnehmen und mit ihnen umgehen, spiegelt sich in unseren politischen Strukturen und unserem gesellschaftlichen Verständnis von Macht wider. Der politische Aspekt des Prozess-Denkens hilft, die Unterschiede zwischen autoritären und demokratischen Systemen zu verstehen und zu erkennen, in welcher Weise unsere Denkweise Vorstellungen von Führung und Gemeinschaft beeinflusst.

 

Das autoritäre Denken und die Monarchie:

In vielen Kulturen, insbesondere in westlichen Ländern, ist das Denken immer noch von einer Art "Monarchie" geprägt. Es gibt die Vorstellung, von unserer Grammatik unterstützt, dass es immer eine zentrale Autorität (Subjekt) geben muss – einen Herrscher oder eine Führungsperson –, die die Kontrolle über den Verlauf der Dinge hat. Dies zeigt sich auf politischer Ebene in der Vorstellung, dass eine Regierung nur funktioniert (Prädikat), wenn sie von einer zentralen Figur (Subjekt) gesteuert wird. Ein Beispiel hierfür ist die Faszination, die manche Menschen für charismatische Führer haben, wie aktuell in den USA mit Persönlichkeiten wie Donald Trump. Hier ist der Glaube tief verwurzelt, dass es jemanden geben muss, der „das Zepter in der Hand hält“ und den Prozess steuert. In unserer deutschen Geschichte gab es den Slogan: „Ein Reich, ein Volk, ein Führer“. Hier ist kein Prozess, es ist Fakt! Dieses Lied lässt sich noch immer über Youtube aufrufen!!!

 

Prozess-Denken und Demokratie:

Dem gegenüber steht die Idee, dass Prozesse sich selbst tragen können – das Herzstück eines demokratischen Systems. In einer Demokratie gibt es keine zentrale Autorität, die alles lenkt. Stattdessen basiert der demokratische Prozess auf den kollektiven Entscheidungen und Interaktionen vieler Menschen. Der Prozess entwickelt sich aus den Beiträgen und Aushandlungen aller Beteiligten und trägt sich von selbst. Dies entspricht dem Prozess-Denken, bei dem das Geschehen nicht an einer einzigen Person oder Macht festgemacht wird, sondern als ein gemeinschaftliches und sich selbst entwickelndes Ereignis verstanden wird.

Das Problem vieler politischer Systeme, insbesondere in autoritär geprägten Kulturen, liegt darin, dass sie das Vertrauen in diesen selbsttragenden Prozess nicht haben. Menschen glauben oft, dass es eine zentrale Figur geben muss, die den Prozess lenkt, anstatt darauf zu vertrauen, dass der Prozess in einem Netzwerk in Interaktionen entsteht. Diese Denkweise ist nicht nur auf das politische Feld beschränkt, sondern prägt auch, wie wir in vielen Lebensbereichen handeln. Es ist das Bedürfnis nach Kontrolle und Autorität, das uns daran hindert, dem natürlichen Fluss von Ereignissen zu vertrauen.

Prozess-Denken fordert uns heraus, diese fixierte Vorstellung von Autorität loszulassen und stattdessen zu akzeptieren, dass Prozesse ohne externe Kontrolle ablaufen können. In einer Demokratie vertrauen wir darauf, dass der Prozess der Interaktion zwischen Menschen – das Aushandeln, Diskutieren und Abstimmen – zu einem Ergebnis führt, das im besten Interesse aller liegt. Jedoch ist die Sprache trotz Allem statisch: „Das Parlament hat entschieden“, bringt nicht zum Ausdruck, dass es ein Prozess gewesen ist. Das Subjekt Parlament hat entschieden. Auch hier gehört das Wort „entschieden“ geöffnet, um die Wirklichkeit, das „Wie“, wie es wirk-lich war zu begreifen. (Gendlin nennt diesen Vorgang „Begriffe öffnen“, oder auch mal „Begriffe schlachten“).

 

Prozess in der Gesellschaft und der Therapie

 

Auf gesellschaftlicher Ebene sehen wir ähnliche Herausforderungen wie in der Therapie. Oft suchen Menschen nach einer schnellen, kontrollierten Lösung für komplexe Probleme. In der Focusing-Therapie lernen wir jedoch, dem natürlichen Prozess zu vertrauen, der sich in unserem Körper und Geist entfaltet.  Carl Rogers hat zu Beginn seines Wirkens seine Vision mit „Non-direktiver Therapie“ bezeichnet.  Er ist der Pionier prozesshafter Psychotherapie. Anstatt sofort zu analysieren oder einzugreifen, wird dem Geschehen Raum und Vertrauen gegeben, dass es sich in der Person oder im Netzwerk demokratisch selbst weiterentwickelt. Das gleiche Prinzip gilt für das Persönliche wie auch für das gesellschaftliche und politische Leben. C. Rogers hat sein Leben und seine Arbeit für diese Vision der „Entwicklung“ in beiden Räumen gelebt. 

Focusing-Prozess-Denken fördert eine demokratische Haltung. Es ermutigt uns, dem Fluss von Interaktionen und Prozessen zu vertrauen. In einer politischen Landschaft bedeutet das, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu stärken, während im therapeutischen Rahmen das Vertrauen in den natürlichen Verlauf von inneren Prozessen und Entwicklungen im Vordergrund steht. Prozess-Denken und Prozess-Vertrauen ist somit nicht nur ein therapeutisches Konzept, sondern ein Weg, wie wir politisch und gesellschaftlich denken und handeln können, um nachhaltige Veränderungen zu fördern.

 Allen Watts, Zen Meister und Philosoph schrieb schon vor 60 Jahren, dass das Grundproblem in den USA darin liege, dass die Leute meinen, da muss es ein Jemand geben, der macht und der bestimmt, von dem die Power ausgeht (absichtlich nicht gegendert). A. Watts sagt, in deren Bewusstsein, durch die Sprache unterstützt, ist das ganze Universum so etwas wie eine Monarchie.  Es muss immer jemanden geben, der in dieser Monarchie das Zepter in der Hand hat und regiert. Entweder der liebe Gott oder Personen und Gruppen in den verschiedenen Verschwörungstheorien. Das ist für die USA ein Dilemma. Watts: etwa 50 % der Amerikaner können nicht glauben, dass ein aus-sich-selbst-tragender Prozess möglich ist. Der demokratische Prozess geschieht in bestimmten Spielregeln (Grundgesetz) aus sich selbst heraus. Die anderen meinen, es muss ein Monarch sein. Z.B. Ein Trump der ihnen sagt so geht's.  In Deutschland haben wir jetzt das gleiche Problem, offensichtlich glauben jetzt auch bei uns viel zu viele Menschen, dass die Gesellschaft wie in einer Monarchie organisiert sein muss. Ja, wenn diese Bürger nur der Monarchie (Führer) vertrauen, dann haben wir ein Dilemma für unsere Demokratie. Prozess-Denken und Prozess-Vertrauen hat eine grundlegende politische Dimension. Unsere europäischen Sprachen sind jedenfalls durch die Grammatik auf der anderen Seite, sie führen selbstverständlich zu einem autoritären, hierarchischen Verständnis unsere Welt. Suchen wir mit uns selber, unserer Gesellschaft und unseren Klient*innen die Richtung von Veränderung, dann ist dieses Denken das Gegenteil von dem, um was es geht. Es braucht stattdessen, andere und sich selbst so zu verstehen, dass Veränderung, Prozesse, Neues geschehen kann. Wir brauchen Prozess-Denken, Prozess-Vertrauen und Prozess-Interventionen.  Prozess-Interventionen gehen hinter die Worte, gehen unter die Emotionen und Bilder – sie gehen zum Körper, über die Center-line (hin zur Körpermitte) zum Felt Sense. Auch zum Felt Sense der politischen Situation. Prozessinterventionen inkludieren ein Verweilen mit dem, was da ist. Aus Verbundenheit mit anderen und der Vielfalt unserer Körperinformationen, z.B. Kopf-Herz-Bauchhirn, der gegenwärtigen Situation und vielem mehr, geschehen neue Schritte, die so noch nie da waren.

 

Prozessbedingungen

Prozesse haben Kontexte und Bedingungen. Unsere menschliche Entwicklung in der Babyzeit ist vermutlich das beste Beispiel. Die Selbstentwicklung eines frischen Menschleins braucht so gut wie alles von seinen Eltern: Willkommen-Sein, Milch, Wärme, Windeln, Körpernähe und eine Rundum-Versorgung, Und in diesem Netz von Unterstützung und Nährung geschieht ein erstaunlicher Wachstumsprozess hin zu Sprache, Laufen, Denken, … . Unser Körper ist so angelegt, dass wir diese Bedingungen erhalten, ansonsten kann sich der Mensch nicht so entwickeln wie es möglich gewesen wäre.

Der sich von selbst weitertragende Prozess im Focusing hat als Hauptbedingung die focusingspezifische Aufmerksamkeit - den Dialog und den Inneren Dialog -, die wiederum in aller Regel als Vorbedingung den FreiRaum hat. Außerdem braucht es eine annehmende, absichtslose und wertschätzende Atmosphäre in der Beziehung.

 

Prozess-Interventionen

In der Focusing-Therapie geht es darum, den geschehenden vagen Erlebensfluss und den Felt Sense wahrzunehmen und zu begleiten, ohne ihn sofort zu etikettieren oder zu analysieren. Statt zu sagen „du bist ärgerlich“, „Du ärgerst Dich über“ formuliert man im Prozess-Denken „Ah, da ist etwas Ärgerliches“. Das ermöglicht eine andere Qualität der Begleitung und vertieft das Verständnis dessen, was geschieht. Im Geschehen des „Ärgerlichen“ ist alles impliziert (enthalten), was mit dem Thema und dem Kontext der Klient*in zu tun hat und sich in einen frischen neuen Erlebensschritt entfalten kann. Der Fokus liegt auf dem gegenwärtigen Moment und auf der direkten Bezugnahme zum Prozess, der in diesem Moment abläuft.

Der Erlebensausdruck, also Worte, Bewegungen, Bilder, Emotionen, den Therapeut*in gerade in körperlicher Bezugnahme zurück sagt, z.B. „da ist etwas fliegendes“, trägt den Prozess vorwärts. Hier liegt der Clou von Focusing: Die focusingspezifische Aufmerksamkeit bewirkt sofortige Veränderung des Erlebens. Die Aufmerksamkeit im Focusing ist unterschiedlich zu dem Achtsamkeitsansatz von Kabat Zinn, diversen Meditationspraxen und der achtsamkeitsbasierten Verhaltenstherapie, die eine neutrale achtsame Beobachtung des Erlebens anstreben.  

Focusingspezifische Aufmerksamkeit trägt den Prozess weiter, indem sie den nächsten Erlebnisschritt von selbst entstehen lässt. Dieser Schritt entsteht, wenn wir das „Springen“ (der Katze) im Erleben wahrnehmen und sprachlich oder „ausdrücklich“ zurückgeben. Das bedeutet, dass wir das eben Entstandene verkörperlicht erneut dem Impliziten, der „inneren Werkstatt“, zur Verfügung stellen, wo es, Alles mit Allem gekreuzt, den nächsten kleinen stimmigen Erlebensschritt kreiert.

Eine wichtige Prozess-Intervention besteht darin, sich von der üblichen Art des Denkens zu lösen und sich auf das gegenwärtige Geschehen im Körper, im Bewusstsein und der gegenwärtigen Situation zu konzentrieren. Das Konzept von „Carrying Forward“ besagt, geben wir dem Prozess Raum, so wird der Körper aus sich selbst heraus neues, frisches Erleben bewirken. Gendlin sagt, wenn wir die Klient*innen durch unsere Vorstellungen und Bewertungen nicht stören, jedoch präsent sind, dann wird der ganz eigene Weg möglich. Anstatt zu analysieren, woher der Ärger oder die Trauer kommt, wird der emotionale Prozess als Teil eines tieferen fortlaufenden Geschehens wahrgenommen, das sich aus sich heraus weiterentwickeln will.

„Meine Eltern haben mich verlassen“ - bei so einer Aussage geht es im Prozessdenken nicht um Fakten. Auch nicht diesen Satz zurück zusagen! Keine Faktensprache! Es geht darum, was geschieht gerade in diesem Menschen im Heute und Jetzt, hier mit mir,  wenn er dies sagt. Hier finden wir das Prozesshafte. Was erlebt diese Person, während sie das ausspricht? Es geht nicht um die Worte. Es geht um den Prozess hinter den Worten, der gegenwärtig da ist, hinter dem „mich verlassen“. Und es braucht unsere spürige Präsenz und Aufmerksamkeit, die uns erlaubt, ein Stück hinter den Worten mitzuschwingen. Mitzuschwingen, hinter den Gefühlen, hinter den Worten und auch hinter der Geschichte, die gerade erzählt wird.  Da wollen wir hin - hier finden wir den Prozess und hier finden wir die stimmigen Worte und Gesten, um in tieferer Weise das, was wirk-lich ist, den Klient*innen zurück zu sagen.  Es geht darum zu erkennen, dass die Vergangenheit, über die die Klient*innen jetzt in der Gegenwart sprechen, hier und jetzt in unserer Situation schon verändert ist. Das Konzept von Gendlin besagt, dass das Vergangene durch die Gegenwart schematisiert ist und die Gegenwart durch die Vergangenheit schematisiert ist (siehe „Ein Prozess Modell“).

 

Das „WIE“ im Focusing-Prozessdenken

Gendlin sprach gerne von: „die Art und Weise des Erlebens“, also, „wie wird das Erlebte erlebt?“ Wie ich mit mir bin, entscheidet letztlich, WAS ich erlebe. Bin ich mit mir froh und zufrieden, werde ich anderes erleben als unter der Herrschaft des Inneren Kritikers. Wie bin ich? – ich bin froh und zufrieden, bzw. wie bin ich? – entwertet und aussichtslos. Das Wie-ich-mit-mir-bin erschafft einen bestimmten Prozess, der über das Was hinaus geht. Die schönste Situation im Leben erhält erst durch das WIE (dem Prozess) seine wirkliche Wirk-lichkeit. In der Focusing-Therapie fragen wir uns, „wie erlebt Klient*in gerade den Inhalt, die Geschichte, von dem er spricht. Über das WIE finden wir zum geschehenden Prozess, zum Beispiel: „Wie ist es gerade für Dich, was erlebst Du, während Du von … sprichst“.

Die Bezugnahme zum WIE des Erlebens ist wesentlich in der Arbeit mit „Strukturgebundenem Erleben“. Das starre, immer wiederkehrende Erleben wird sich über ein neues Wie verflüssigen (prozesshafter werden) und neue innere und äußere Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. 

 

Carrying Forward

Der Prozess des „Carrying Forward“ beschreibt, wie sich ein innerer Zustand von selbst zum mehr Lebendigen verändert. Genau, wie der Körper eine Wunde heilt, so bewirkt er  die nächsten heilenden Schritte. Die Haltung im Focusing ist Vertrauen in den Körper, auf die dem Körper eigenen Heilkräfte - auch bei schwer traumatisierten Menschen. Gelingt es uns, ein Gefühl oder eine innere Bewegung zu erkennen, zu beschreiben und körperlich zurückzugeben, so wird ein nächster, stimmiger Prozessschritt vorwärts getragen – wohin?  Zu mehr Leben-digkeit.  In diesem Sinne geht es nicht darum, eine Lösung zu erarbeiten oder den Klient*innen eine noch so gute Idee „anzuschrauben“, sondern den inneren, körperlichen Impulsen der Veränderungen zu vertrauen.  Und genau dieses Geschehen ist das, was wir den Focusing-Prozess nennen.

Focusing bietet die Möglichkeit, den inneren Prozess über die Sprache, körperliche Bewegungen, Gesten und innere Bilder, wahrzunehmen und zu begleiten. Der Körper ist dabei der Ort des Geschehens. Statt statisch zu analysieren, wird der Prozess in der focusingspezifischen Aufmerksamkeit gehalten, verkörperlicht und begleitet. Der Therapeut oder die Therapeutin gibt den Klient*innen die Prozesse verkörperlicht zurück, die im Moment „da sind“. Anstelle von „Du bist traurig“ sagen wir: „Da ist etwas Trauriges“. Diese Art der Intervention nennen wir „Partialisieren“ sie eröffnet dem Impliziten der Klient*in die Möglichkeit, den Prozess selbst weiterzuführen. Partialisieren ist ein grundlegendes „Werkzeug“ hin zum Prozesshaften.

Ein zentrales Prozesselement im Focusing ist die Wahrnehmung des Atems. Jeder Atemzug kann ein Hinweis darauf sein, dass sich augenblicklich im Inneren der Klient*innen etwas verändert hat. Der Atem zeigt an, dass ein „Shift“ stattgefunden hat – ein innerer Wandel, der den nächsten Schritt im Prozess erschafft.

 

Prozess und Tiefe  - existentieller Prozess

Den Felt Sense anzureichern bedeutet, den Felt Sense bewusst zu vervollständigen.  Dies geschieht sinngemäß mit der „Felt Sense-Formel“: Nimm alles zusammen, alles was damit zu tun hat, alles Gegenwärtige und alles Vergangene und alles was daraus werden könnte, alles was Du darüber weißt und auch was Du nicht weißt“. Mit dieser Anfrage bleiben wir im Focusing mit der Aufmerksamkeit in Richtung Köpermitte und verweilen etwas. Natürlich können wir noch konkreter „anreichern“, indem wir noch anregen, die Familien-, die Berufssituation oder andere Aspekte dazu zu nehmen. Je nach Fülle der Informationen und Befindlichkeiten wird der Prozess intensiver und erlangt mehr spürbare Lebenstiefe und eine existentiellere Qualität. Was bedeutet, dass der Prozess viele und mehr Aspekte in den Veränderungsprozess mit aufnimmt.

 

Partnerschaftlicher Focusingprozess schafft eine neue Politik der Beziehungen

Partnerschaftliches bzw. kollegiales Focusing (Co-Counseling) ist ideal für neugierige, unabhängige Menschen, die selbstbewusst und autonom ihr Leben in realen und gesunden Beziehungen, zu sich selbst und ihren Mitmenschen, gestalten möchten. Hier eröffnet sich ein einmaliger Übungsraum für gleichberechtigte Beziehungen, Selbstmanagement und Selbsthilfe. Unüberschaubar viele partnerschaftliche Focusing-Dyaden und kollegiale Supervisionsgruppen sind rund um das DFI entstanden, sie praktizieren eine spezielle Focusing-Achtsamkeitskultur, die das Prozesshafte und Geschehende unterstützt und ermöglicht.

Psychotherapie führt nicht wirklich aus der grundsätzlichen Abhängigkeit heraus! Psychotherapie ist grundsätzlich eine Beziehung mit eindeutiger Rollenverteilung. Auch bei allem personzentierten Bemühen ist im Setting der professionellen Psychotherapie das Moment einer hierarchischen, patriarchalen Beziehungsstruktur enthalten, wie: Eltern – Kind; Chef – Angestellte; Fachmann – Laie, Arzt, - Patient; Psychotherapeut – Patient.  Im traditionellen psychotherapeutischen Beziehungsgefüge können heilende (lebenswichtige) Prozesse der Veränderung geschehen. Jedoch, andere Prozesse: heilende und lebenswichtige Prozesse, die eine gleiche, hierarchiefreie Beziehung auf gleicher Augenhöhe benötigen, werden im traditionellen Setting eben nicht geschehen. Wer sich in diese hierarchiefreie Beziehung einlässt, wird bemerken, wie prozesshafte Beziehung wirkt.

 

Fazit

Prozess-Denken und Prozess-Interventionen sind zentrale Elemente in der Focusing-Arbeit. Meine Ausführungen geben nur einen kleinen Einblick in die vielfältigen Techniken und Haltungen in der Focusing-Therapie. Der Bezug zum Felt Sense, zum Impliziten hinter der Sprache, unter den emotionalen Prozessen ermöglicht, Raum für geschehende Veränderung zu geben. Körperlicher Fokus auf das Geschehen selbst – auf das, was „da ist“ – erschafft und unterstützt eine tiefes und nachhaltiges Verändern.

 

 

Klaus


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