„Ich kann, weil ich will, was ich muss“. Das Zitat stammt von Emanuel Kant, der 1724-1804 lebte. Kant hat ja seine Erkenntnisse immer wieder in sehr kurzen, prägnanten und auch harten Formulierungen veröffentlicht.
Seit Kants Postulat ist viel Zeit vergangen, aber mir kommt vor, als ob immer noch deutliche Spuren in vielen von uns davon zu finden sind. Transportiert auch durch die Gesinnung in vielen Menschen Deutschlands während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dort wurde formuliert: „In unseren Augen muss der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.“[1]
Mein Vater (Jahrgang 30) hat diese Zeit am Ende ganz bewusst miterlebt. Trotz der Ablehnung der Nazi-Ideologien durch das Elternhaus hat er doch sehr viel von den Idealen verinnerlicht.
Ich erinnere mich gut an eine kleine Begebenheit, ungefähr 8 Jahre mag ich gewesen sein. Ich lag mit Fieber im Bett und war traurig, dass ich am nächsten Tag nicht beim Ausflug dabei sein könne. Mein Vater meinte: „Man kann alles, wenn man nur will! Wenn du also wirklich zu dem Schulausflug willst, dann bist du morgen früh fieberfrei.“ Ich erinnere mich nicht, ob ich es geschafft habe oder nicht.
Dieser Satz zog sich durch meine Kindheit, genauso wie bei meinen Geschwistern. Er war sperrig, verletzend, manchmal aber auch anspornend. Wie das so ist, bilden sich dann gerne innere Kritiker, die diese Sätze auch dann noch parat haben, wenn sie nicht mehr von außen kommen.
Am Ende seines Lebens war es möglich mit meinem 90-jährigen Vater über all das zu sprechen. Die Beschwernisse des Alters hatten ihn in eine harte Schule genommen und der alte Satz plagte ihn selber. In langen Telefonaten erzählte er mir von Misserfolgen, Enttäuschungen und wie dieser starke Satz lange Zeit ein guter Antreiber war. Doch irgendwann kamen Ereignisse, die er nicht mehr durch Willenskraft meistern konnte, der Satz wurde zur Qual.
Gemeinsam konnten wir in langen Telefonaten über die Wurzeln dieser Überzeugung sprechen und die alten Naziparolen finden. Allmählich formte sich in den Gesprächen so etwas wie eine Teilpersönlichkeit, die in unterschiedlicher Ausformung, aber eben doch in uns Beiden lebte. Um sie handhabbarer zu machen, bekam sie einen Codenamen. Es hat uns beide erschreckt, dass eine politische Überzeugung, die wir gemeinsam vehement ablehnen, doch so tiefe Furchen in unser Leben gegraben hatte.
Das Codewort für die daraus entstandene Teilpersönlichkeit machte vieles einfacher. Die Härte gegen sich selbst hatte einen Namen und ist so greifbar geworden.
Mit diesem Wort konnte ich dann auch immer öfter das Jammern stoppen, wenn mein Vater lange und voll Qual von seiner nachlassenden Kraft und Leistungsfähigkeit berichtete. „Ach, der „Code“ will auch gehört werden“, reichte oft als freundlicher Hinweis. Meist lachte mein Vater dann und wir konnten über andere Themen reden.
Bei all den Gesprächen war es mir immer klar, dass ich mit denselben markigen Sprüchen in mir selbst agiere. Zum Glück hat mir die lange Zeit mit Focusing gezeigt, wie ein guter Umgang mit so etwas geschehen kann. Mir ist auch bewusst, dass ich vieles in meinem Leben geschafft habe, weil diese Sprüche in mir waren und auch noch immer wieder sind.
Ich nehme an, wenn du das bis hierher gelesen hast, dann ist das Feld von Wollen – Können- Müssen auch für dich interessant. Wahrscheinlich hast du auch eigene Erfahrungen mit solchen inneren Sätzen gemacht. Was du wohl so schon erlebt hast mit harten Sätzen in dir selbst?
Die Worte selbst gehören zu den sogenannten Modalverben, es fehlen noch dürfen, mögen, sollen. Damit werden sich vermutlich ganz andere Sätze bilden.
Vor einiger Zeit postete ein DFI Kollege den folgenden Text
„Nichts muss gemusst werden. Nur das freiwillig gemusst wird, muss gemusst werden, was dann aber nicht so gemusst wäre, wie das, was gemusst gemusst werden müsste. Das muss doch zu verstehen sein. Oder nicht?“[2]
Als Lehrerin war ich in der ständigen Auseinandersetzung mit dem Können und Wollen der Schüler im Gegensatz zu dem, was der Lehrplan als Muss formuliert. Mein Ausweg war die Reformpädagogik, die ganz andere Wege geht.
Am Ende eines wunderbaren TAE Seminars kam in mir der folgende Text, mit dem ich diese Gedanken beenden möchte
Muss ich denn wollen,
was ich denke,
dass ich tun sollte?
Wer sagt denn,
was ich tun soll
und dann auch noch wollen sollte?
Mache ich, was ich denke,
dass ich es will
oder sollte ich
nun einfach TUN.
(Bettina Markones 2024)
[1] (Auszug aus Hitlers Rede vor 54.000 Hitlerjungen in Nürnberg; 14. September 1935)
[2] Janosch: „Wörterbuch der Lebenskunst“ (Reklam):
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