Gab es in Ihrer Kindheit ein Lieblingsbuch?
Ich vermute, dass da schnell eine Antwort auftaucht. Ich kann mich erinnern, dass ich jahrelang dasselbe Buch für die Sommerferien aus der Bücherei ausgeliehen habe. Sechs lange Wochen war es „meins“. Ich habe mich darin verloren und getrauert, wenn ich es wieder abgeben musste.
Wie sind Ihre Erinnerungen rund um das Thema „Lieblingsbuch“?
Wenn Sie gerade die Zeit und Gelegenheit haben, möchte ich Sie gerne einladen, sich auf eine kleine, spürige Reise zu begeben.
Fällt es Ihnen schwer, sich an ein Buch von „damals“ zu erinnern, dann nehmen Sie gerne ein Buch aus Ihrem jetzigen Sein.
Sie können in einem kleinen Selbstfocusing erkunden, was das Bedeutsame an diesem Buch war oder ist. Was genau hat dieses Buch zu einem Lieblingsbuch werden lassen?
Haben Sie sich mit dem Helden/der Heldin identifiziert oder hatte er/sie eher eine Vorbildfunktion?
Vielleicht wurde in diesem Buch auch etwas beschrieben, was das Kind in Ihnen nicht leben konnte oder durfte. Möglicherweise war das Bedeutsame ein erlösendes Ende, das in der Realität so (noch) nicht stattfand oder stattfinden konnte.
Was wäre noch zu bemerken in dem Zusammenhang mit dem Lieblingsbuch? Welche Frage möchten Sie noch an sich selbst stellen?
Zum Schluss möchte ich Sie einladen, alles zusammen zu nehmen von dem, was Sie gerade zu diesem Buch gespürt, gedacht und gefunden haben und auch das, was nicht gedacht, gespürt und gefunden wurde. Wenn das alles zu einem Ganzen wird, das sich entfalten kann, was geschieht dann innerlich?
Vielleicht mögen Sie ja etwas von dieser kleinen Übung jemanden erzählen. Dabei werden für den anderen vielleicht Nuancen ihres Lebens und Erlebens sichtbar, die vorher noch nicht so deutlich waren.
In der Weiterbildung „Focusing mit Kindern“ begleiten wir uns gegenseitig bei dieser Erkundung und sowohl Fokussierende:r als auch Begleiter:in sind oft erstaunt über die Tiefe, die diese kleine Übung erzeugt.
Da heutzutage Bücher nicht mehr den Stellenwert haben wie in meiner Kindheit, könnten Sie die gleiche kleine Übung zu Ihrem Lieblingsfilm oder -serie machen. Auch hier ist die Fragerichtung: „Was an dem Film, der Serie berührt Sie ganz besonders. Was macht den Film so bedeutsam?“
Bei den Serien kommt noch ein weiterer Aspekt dazu. Die Figuren der virtuellen Welt laufen über einen längeren Zeitraum neben der realen Welt mit. Irgendwann beginnen sich die Figuren der Serie wie Freunde oder Verwandte anzufühlen.
Von daher ist es auch verständlich, dass der „Tod“ einer Serienfigur echte Trauer auslösen kann.
Ich lade sowohl Kinder, mit denen ich arbeite, als auch die Workshopteilnehmer:innen immer ein, dass auch die Lieblingsbücher in der Beratung und Therapie einen Platz finden.
Natürlich gilt das auch für Lieblingsfilme und -serien sowie Computerspiele. Ich lasse mir erzählen, mich informieren und bleibe neugierig, auch wenn mir Inhalte oder Darstellungen nicht gefallen. Ich möchte wissen: Was ist es genau, was dem anderen Menschen, dem Kind so gefällt an diesem Buch, Film, Spiel.
Ich durfte im Frühjahr zwei Vorträge von Dr. Niklas Gebele hören. Diese und sein Buch: Märchen, Mythen, Netflix (2021) aus dem Psychosozialverlag haben mich in meiner Haltung sehr bestärkt. Die Helden aus der fiktiven Welt sind sowieso mit dabei in den Beratungs- und Therapieräumen. Also laden wir sie doch freundlich ein, mitzuhelfen bei der Stärkung und Unterstützung der Klient:innen.
Wenn Sie mögen, probieren Sie doch gleich selbst mal aus, dazustehen wie ein Superheld und erkunden das neue Körpergefühl. Vielleicht macht das Lust, Pippi Langstrumpf, Luke Skywalker, die Paw Patrols oder wen immer der/die Klient:in mitbringt ins Focusingsetting einzubinden.
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