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Der Focusing-Blog

Resonanz & Response

Martin Höhn Bild für Artikel

 

Ein Beitrag von Martin Höhn

 

Ein zwischenmenschliches Phänomen in der Therapie aus musikalischer Sicht

Wenn ich die Szene einer Focusing-Sitzung vor meinem inneren Auge entstehen lasse, sehe ich Menschen, die fast wie Musiker:innen, miteinander in Beziehung treten. Die Klientin gibt ein Thema vor und beginnt zu spielen. Der Therapeut hört zu und geht in Resonanz, hält sein eigenes Instrument bereit, begleitet, lässt Raum für Pausen und setzt, dem gemeinsamen Rhythmus folgend, Akzente, auf die sein Gegenüber reagieren kann. Dabei spielen sie kein vorgegebenes Stück, vielmehr improvisieren sie, lassen etwas Neues, Lebendiges entstehen.

Resonare: Widerhallen, mit Schall erfüllen

Was die Klientin ausdrückt, hallt im Therapeuten wider. Unter gewissen Umständen werden dabei eigene Erfahrungsräume des Therapeuten zum Mitschwingen angeregt. Bleiben wir bei der akustisch/musikalischen Sichtweise, müssen diese Räume eine Art Übereinstimmung oder Ähnlichkeit aufweisen um zum Mitschwingen angeregt werden zu können, auch wenn sie eine eigene Gestalt und Beschaffenheit haben. Ist dies der Fall, resoniert das Thema der Klientin im Therapeuten so dass er seine eigene Erfahrung zur Verfügung stellen kann. Solange ein Therapeut seinen Freiraum behält, wird er wahrnehmen und entscheiden können, was von seiner eigenen Resonanz, einen Response wert sein könnte. Dabei sind drei Voraussetzungen nötig, damit überhaupt Resonanz entstehen kann:

  1. Beweglicher Raum. Was wir im Focusing „Freiraum“ nennen, bekommt im Bezug auf Resonanzfähigkeit eine eigene Bedeutung: Die Decke einer Gitarre kann schwingen, weil sie sich frei bewegen kann. Der Resonanzraum einer Gitarre ist leer. Wäre er gefüllt, wäre die Bewegung gedämpft. Ist ein Therapeut zu voll, etwa mit Ideen, Konzepten, Lösungsvorschlägen oder eigenen Themen, kann auch er nicht in Resonanz gehen, sondern wird in seiner eigenen Schwingung hängen bleiben.

  2. Kontakt. Die wohl offensichtlichste Voraussetzung für Resonanz ist Kontakt. Wäre die Saite einer Violine nicht mit dem Korpus in Kontakt, würde dieser die Schwingung nicht aufnehmen. Kontakt kann auch über bewegte Luft oder ein anderes Medium entstehen. Auf jeden Fall ist ein gemeinsames „Gefäß“, ein gemeinsamer Raum nötig, in dem Kontakt entstehen kann. Klient:in und Therapeut:in sind jeweils mit sich selbst und miteinander im Kontakt, nur so kann Resonanz entstehen.

  3. Ähnlichkeit. Damit in mir etwas resonieren kann, muss es mir und meinen Erfahrungen ähnlich sein. Als Therapeut werde ich nur eine deutliche Resonanz spüren, wenn das Erleben der Klient:in eine Saite in mir zum schwingen bringt, die so gestimmt ist, dass sie darauf antworten kann. Spielt ein Gitarrist den Ton „a“ auf der Gitarre, wird die leere A-Saite, eine Oktav tiefer mitschwingen – in Resonanz gehen. Wird jedoch der Ton „h“, einen Ganzton höher angeschlagen, bleibt die leere A-Saite stumm. Die Ähnlichkeit der Schwingung ist zu gering. Stattdessen beginnt die leere E-Saite zu antworten. Der Grund: die Töne „e“ und „h“ stehen in einem Quintverhältnis. Sie sind sich akustisch ähnlicher als „a“ und „h“.

Was bedeutet dieser musiktheoretische Ausflug für uns Therapeuten?

Auf die Therapiesituation übertragen bedeutet das: Womit ich als Therapeut:in in Resonanz gehe, hängt neben der Empathiefähigkeit auch davon ab, was ich selbst für Erfahrungen gemacht habe. Meine Resonanz entsteht aus meiner eigenen Struktur (Physiker sprechen von Eigenfrequenz) und reagiert auf eine ihr ähnliche Struktur. Gerade deshalb ist es wichtig unsere Reaktion (den Response) bewusst zu wählen. Wir, die wir mit Focusing vertraut sind, können einen kleinen Focusing-Prozess dafür nutzen, das Wesentliche der eigenen, resonierenden Struktur herauszufiltern und nur diese Essenz dem Klienten zur Verfügung zu stellen. Trotz aller Empathie und Ähnlichkeit, bleibt es doch unser persönliches Erleben. Unsere eigene, zum Schwingen gebrachte Innenwelt, ist für die Klientin nur dann hilfreich, wenn sie nicht mit unserer persönlichen Geschichte aufgeladen ist und freilassend zur Verfügung gestellt wird.

Fallbeispiel: Aus dem Felt Sense eines Klienten symbolisierte sich das Bild von etwas Schönem, aber Totem. Dieses Bild hatte mit dem Tod eines guten Freundes zu tun. Fast verschämt, jedenfalls aber verwundert über den Widerspruch sprach er davon, dass „manche schlimmen Situationen – auch der Tod, eine Schönheit in sich tragen.“

Kurz zuvor war ich selbst wegen eines Herzinfarktes im Krankenhaus. Die Erfahrung, so nah am Tod gewesen zu sein, machte, bei allem was auch schwer war, mein Leben reicher, wesentlicher, bewusster. In dieser Zeit begegnete mir das Zitat von David Steindl-Rast: “Es gibt eine geheimnisvolle Verletztheit, die mit einem großen Segen einhergeht.“ Dieses Thema war mir also zu diesem Zeitpunkt nicht fremd. In der Nähe des Todes fühlt sich das Leben intensiver – in gewisser Weise auch „schön“ an.

Die Äußerung des Klienten, manche schlimmen Situationen trügen auch Schönheit in sich, konnte ich also sehr gut nachvollziehen, sie brachte meine eigene Erfahrung zum Schwingen. Nach einem kurzen, eigenen „Blitzfocusing“ entschied ich mich für ein Saying Back, ergänzt durch einen Response aus meiner eigenen Resonanz und sagte: „Manche schlimmen Erfahrungen tragen auch Schönheit in sich. Hat das etwas mit Lebendigkeit zu tun?“ Der Klient antwortete sinngemäß: „Ja, die Trauer hat auch etwas Kostbares und Schönes, weil sie einfach zum Leben dazugehört.“ Gefolgt von einem Aufatmen des Einverstandenseins.

Dieses Beispiel verbildlicht die Wirkweise der drei Resonanzvoraussetzungen beweglicher Raum, Kontakt und Ähnlichkeit. Ich hatte genügend Freiraum, um mein eigenes Thema von Tod und Schönheit zu berühren, ohne darin zu versinken. Ich habe auch nicht meine ganze Geschichte ausgebreitet, sondern nur die für mich wichtige Essenz „in der Nähe des Todes fühlt sich das Leben intensiver an“, in reduzierter Form in den gemeinsamen Raum gestellt.

Ich war in Kontakt mit dem Klienten, so dass ich mich von dessen Erleben berühren lassen konnte. Die Ähnlichkeit der miteinander resonierenden Themen bestand in der zunächst als absurd empfundenen Annahme, dass schlimme Erfahrungen, wie Verlust und Tod, auch eine kostbare Schönheit in sich tragen können. Der Klient fühlte sich verstanden und kam in seiner Trauer einen Schritt weiter.

Innere Themen resonieren mit äußerem Klang

Im Focusing nehmen wir an, dass die äußere Situation, in der wir uns befinden, mit dem inneren Erleben untrennbar verwoben ist. „Wir sind in der Situation und die Situation ist in uns“. Das heißt unser Körperinneres reagiert auf das, was wir hören, sehen spüren oder auf andere Art wahrnehmen und reichert es mit für uns relevanten Erinnerungen an alte Erfahrungen an. Ein vermeintlich neutraler Klang etwa, kann persönliche Lebensthemen zum Schwingen bringen.

Ein Beispiel dafür habe ich während einer Klangreise auf einem Rhythmusworkshop erlebt. Während die meisten Teilnehmer:innen im gleichmäßigen Rhythmus von Rahmentrommeln badeten, sich umspülen ließen und sich getragen fühlten, berichtete ein Teilnehmer von Angstgefühlen. Der Klang der Trommeln hatte ihn an Kriegsgeräusche, wie sich nähernde Panzer oder im Anflug befindliche Bomber erinnert. Auch hier finden wir wieder die drei Voraussetzungen beweglicher Raum, Kontakt und Ähnlichkeit: Der Teilnehmer hatte inneren Raum. Er ließ sich unvoreingenommen auf das Klangerlebnis im Workshop ein, sodass etwas in ihm mitschwingen konnte. Dabei war er mit seinem inneren Erleben und gleichzeitig mit dem äußeren Klang im Kontakt. Der Klang der Trommeln war einem anderen Geräusch (dem der nahenden Panzer) ähnlich und brachte dadurch die Erinnerung an das bedrohliche Erlebnis in der Kindheit zum Schwingen.

Ich begleitete den Mann mit Interventionen zum Freiraum (Abstand zum Kindheitserleben und Sicherheit im Hier und Jetzt). Das half ihm dabei, seine alte Angst zu spüren und ihr im aktuellen Gefühl der Sicherheit einen Platz zu geben. Was lange vergraben war, konnte durch Resonanz mit äußerem Klang auftauchen, im sicheren Rahmen des Workshops und der Gruppe gefühlt werden und ein Stückweit heilen.

Übung „Lieblingsmusik“

Wenn Du möchtest, kannst Du jetzt ein kleines Experiment machen.

Die Übung heißt „Lieblingsmusik“. Vielleicht kommst Du durch diese Übung dem Grund, warum genau das Deine Lieblingsmusik geworden ist und was sie für Dein Leben bedeutet, ein Stück näher.

Warum könnte das interessant sein?

Du kannst davon ausgehen, dass Deine Lieblingsmusik, Dir deshalb gefällt, weil die Atmosphäre, die diese Musik vermittelt, einer Atmosphäre, die Du in Dir selbst wahrnimmst, ähnlich ist. Deshalb gehst Du mit dieser Musik in Resonanz. Sie drückt annähernd das aus, was Du als Stimmung in Dir selbst finden kannst. Das Hören dieser Musik wirkt gewissermaßen wie ein Saying Back. Indem Du die Musik hörst, bekommst Du etwas zurückgespiegelt, was schon in Dir vorhanden war oder ist. Wie ein verbales Saying Back dient auch das erneute Hören der Musik dazu, wieder neu in Kontakt mit diesem inneren Erleben zu kommen, die innere Wahrnehmung zu genauern und neue, aktuelle Schritte entstehen zu lassen.

Für die Übung brauchst Du:

  • Musik, die Du schon immer gerne hörst, oder auch Dein aktuelles Lieblingslied
  • einen Ort, an dem Du ungestört Musik hören kannst
  • 15 - 30 Minuten Zeit

1. Nimm Dir Zeit, um Freiraum zu finden.
2. Horche in Dich, mit welchem Lied du diese Übung machen möchtest
3. Lege die CD ein oder suche es im Internet.
4. Suche einen bequemen Platz oder steh auf, damit Du Dich bewegen kannst...
5. Dann starte die Musik.
6. Richte die Aufmerksamkeit beim Hören auf Deinen Körper.

Während des Hörens:
1. Beobachte wie Dein Körper mit der „Situation Lieblingslied“ mitschwingt.
2. Welche Körpersensationen erlebst Du? (Gänsehaut, Atemfrequenz…)
3. Welche Bilder tauchen auf?
4. Welche Emotionen werden wach?
5. Welche Gedanken, Erinnerungen, Assoziationen hast Du?
6. Hast Du Bewegungsimpulse? (gehe ihnen nach)
7. Welches Lebensgefühl / Stimmung vermittelt Dir die Musik?

Nachdem die Musik geendet hat:
1. Halte inne, lass alles zu einem Ganzen werden und richte die Aufmerksamkeit auf Deine Körpermitte.
2. Lass einen Felt Sense zu dem entstehen, was mit dieser Musik zu tun hat.
3. Was ist das Wesentliche? Vielleicht entsteht ein Symbol, ein Wort, ein Bild dazu.

Dann kannst Du Dich fragen: „Was hat das, was ich gefunden habe, mit meinem gegenwärtigen Leben zu tun? Gibt es Parallelen, ein „Zuviel“ oder „Zuwenig“ dieser Qualität in meinem Leben? Gibt es eine „Sehnsucht“ oder „Notwendigkeit“ nach dieser Qualität in meinem Leben? Was wäre ein stimmiger nächster Schritt, der mein Leben im Sinne dieser Qualität bereichern würde?








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