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Der Focusing-Blog

Ein Bild für Ratze

Ein Bild für Ratze

Der alte Ratze saß zufrieden an seinem Lieblingsort in der Würzburger Kanalisation. Mit großer Achtsamkeit betrieb er Fellpflege und registrierte betreten, dass die lichten Stellen größer geworden waren. „Naja“, seufzte er. „Das harte Leben als Kanalratte hinterlässt seine Spuren, immerhin werde ich bald 10 Jahre alt, was bei den elenden Zweibeinern ja schon 70 Jahre wäre. Kein Wunder, wenn dann ein paar Haare vom Fell ausfallen. Aber ansonsten habe ich mich doch recht anständig gehalten, dank der Feuchtigkeit in meinen Räumen.“

Ratze sinnierte so vor sich hin und seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Was waren das für Zeiten gewesen, als er mit Justus, der Wanderratte durch die Stadt gejagt war, um das Antidot für Rattengift zu finden.[1] Ja, die Zeit mit Justus war ein wichtiger Abschnitt im Leben gewesen. Nun weilte der aber in wärmeren Gefilden, denn Wanderratten hält es eben nicht ein ganzes Leben an einem Ort.

Weiter schweiften Ratzes Gedanken in die Vergangenheit zurück. Da war ja sein 1. Büchlein gewesen: „Die Nase sagt dir, was du fressen kannst“.  Nie hätte Ratze gedacht, dass er damit so vielen Ratten den Weg weisen konnte. Aber immer wieder hört er von kleinen und großen Ratten, dass sie so gelernt hatten, auf sich und ihre Nase zu hören und dadurch einen stets satten und zufriedenen Bauch bekommen hatten. „Tja, ihr Zweibeiner“, murmelte er vor sich hin. „Uns Ratten bekommt ihr nicht klein, es ist eine richtige Kanalrevolution geworden.“

Ratze schien zwar völlig in seinen Erinnerungen gefangen, aber das Stückchen Käse, was gerade an ihm vorbeischwamm, hatte er doch bemerkt und „schwupps“ verschwand es in seinem Maul. „Hoffentlich kommen die Jungratten nicht auf die Idee, mir am Geburtstag Kuchen zu servieren, höchstens einen wahren Käsekuchen mit Gouda, Emmentaler und Greyerzer, das könnte gehen. Das wäre ein wahrhaft magischer Moment der Veränderung eines alten Rezeptes in etwas ganz Neues.“

Zufrieden grinste Ratze, als er sich diesen speziellen Kuchen vorstellte, er konnte ihn förmlich riechen.  „Irgendwie muss ich den Jungratten auch noch klar machen, dass ich keine großen Huldigungen möchte, wie kriege ich das nur hin?“ Sein ganzes Leben hatte Ratze es gehasst, wenn über ihn geredet wurde, viel lieber sprach er selbst mit den Ratten. Er wusste, dass er für viele der Jungratten wichtig war und diese ihm sicher sehr gerne gratulieren wollten. „Es wäre schon schön, von vielen zu hören, wie es ihnen ergangen ist. Wenn sie alle Bilder schicken würden, wo, wie oder mit wem sie die Weisheit der Nase erforschen, das würde mich mehr erfreuen als große Reden.“ Wie kann ich das nur all meine großen und kleinen Freunde nah und fern wissen lassen?“

Aber auf diese Frage fand der sonst so schlaue alte Ratze keine Antwort.  Dabei stand die Lösung fast neben ihm.

In der Kanalisation wuchsen an manchen Stellen Pilze, große Flecken mit Schimmelpilz und hier und da auch das gelbhütige Fadenscheibchen. Von denen stand eines direkt neben dem Lager von Ratze. Die alte Ratte hatte schon an diesen geknabbert, ohne zu wissen, dass in diesen kleinen Gewächsen eine ungeheure Kraft verborgen ist. Alle Pilze dieser Kanalisation waren miteinander vernetzt, ja sogar auch zu den Pilzen in der Welt der Zweibeiner hatte sie Verbindung. Das Wasserweitweb kommunizierte fröhlich mit dem Waldweitweb und dem worldwideweb. So waren alle technischen Entwicklungen der Zweibeiner auch in die Kanalisation geraten. Bei den Menschen hießen die Dinge Siri, Alexa oder sonst wie. Im Wasserweitweb funktionierte die Signalweitergabe ganz ohne Namen und so hatte der kleine Pilz Ratzes Wunsch gehört und ins Netz weitergegeben.

Es dauerte nicht lange und die Bilder von nah und fern kamen zu Ratze, über den kleinen Pilz gesendet, sogar auch per Brieftaube oder Snailmail. Ratze freute sich über jedes einzelne Bild und erfuhr dadurch, wie weit sich das Nase spüren verbreitet hatte. Seit dem Tag ärgerte er sich nicht mehr über die ausfallenden Haare. Jedes einzelne sammelte er sorgsam auf und befestigte damit die Bilder an den Wänden seiner gemütlichen Ecke in der Kanalisation.

Noch immer kommen von nah und fern weitere Bilder und jede Ratte mit Naseweisheit ist eingeladen, auch mitzumachen bei der Aktion: „Ein Bild für Ratze“.

 

[1] Markones, Bettina: „Mit Ratze unterwegs in Würzburg“ Stadtführer für Kinder, Eigenverlag

 

 


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