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Der Focusing-Blog

Nicht wissen ist am intimsten

Ein Beitrag von Sascha Borrée.

Zen-Praxis verlangt ein gleichmütiges Kommen- und Gehenlassen von Empfindungen, Gefühlen, Gedanken. Sie scheint dir – zumindest im Retreat oder Kloster – jede Entscheidung abzunehmen. Der Focusing-Prozess dagegen lädt dich ein, allem, was auftaucht, Raum zu geben – und deine Entscheidungen dann aus einem Zustand von tief verkörperter Weisheit zu treffen. Inkompatibel? Von wegen, meint Focusing- und Zen-Praktizierender Sascha Borrée: Reibung mag es nach seinem Erleben zwar immer wieder geben. Gleichzeitig können sich die beiden Weisheitswege aber ganz entscheidend befruchten. Ein Erfahrungsbericht.

 

„Ich glaube, es wäre besser, wenn ich für eine Weile keine eigenen Entscheidungen mehr fälle“, antworte ich dem Abt, als er mich fragt, was mich ins Zen-Kloster zieht. Mein letztes Jahr war, zurückhaltend gesagt, bewegt, vielleicht so bewegt wie kein anderes vorher. Und mittlerweile sehe ich sehr klar, wie meine eigenen Entscheidungen immer wieder dazu beitragen, statt Ruhe noch mehr Bewegung zu erzeugen. Allerdings: einfach stoppen? Wie soll das denn gehen? Schon mein Alltag ist voll von Mikro-Entscheidungen, und dann gibt es ja noch die ganz großen, ungeklärten Fragen zu Beruf, Beziehung, Lebensmittelpunkt. Doch ich kann nicht mehr, will so nicht mehr weiter machen, brauche einen Break, einen Cut, eine Auszeit, die mich die Dinge danach grundsätzlich anders angehen lässt.

Das Zen-Kloster scheint mir da eine gute Idee zu sein: Ich praktiziere Zen – im Grunde genommen: stilles Sitzen – schon seit einigen Jahren, kenne mittlerweile ein paar Leute, die von ihren eigenen Klosteraufenthalten regelrecht schwärmen. Transformativ sei das, aber mit Worten gar nicht so richtig zu beschreiben. Was mich besonders anzieht: Im Kloster gibt es, ihren Beschreibungen nach, gar nichts mehr zu entscheiden. Wann ich aufstehe (3.50 Uhr), wann und was ich esse, wie lange ich meditiere… Sogar die Art und Weise, wie wir uns gegenseitig begrüßen (wir bringen die Handflächen vor der Brust zusammen und verbeugen uns) oder einen Raum betreten (mit dem Fuß auf der Türseite zuerst)... Alles sei schon vor-entschieden, für mich und die ganze Gemeinschaft.

Genau so erlebe ich es dann tatsächlich selbst, tagtäglich während der 90-tägigen Praxisperiode, der ich mich im kalifornischen Zen-Kloster Tassajara anschließe. Fast alles wird gemeinsam gemacht, ist streng ritualisiert. Die straffe Struktur engt mich ein, und gleichzeitig befreit sie mich. Einfach sein, einfach machen – ganz egal, wie das gerade meinem Geist gefällt. Was bleibt, wenn ich meinen Alltag hinter mit lasse? Wenn ich alles, was mein Leben sonst so ausmacht, hinter mir lasse? Zuerst protestiert mein Geist lautstark („Wer sind die denn, dir das hier zuzumuten!?“), dann lässt er immer wieder mal los, findet zu einer neuen Form von Frieden und Ruhe. (Ich erlebe das allerdings leider nicht als linearen Prozess, der Protest kommt immer mal wieder.)

Was wir hier praktizieren, entfaltet nicht nur eine tiefe Wirkung auf Körper und Geist. Ich finde es auch vom Verstand her logisch, kognitiv schlüssig. „Don’t practice picking and choosing!“, warnen mich die Lehrer*innen immer wieder. Frei übersetzt, nach meinem ganz eigenen Verständnis, bedeutet das so viel wie: Nimm an, was dir das Leben gibt. Und pick dir nicht die Rosinen raus. Lass das Rosinenpicken, denn sonst wird es zu deiner Praxis, deiner Gewohnheit!

Don’t practice picking and choosing! Das wird mir erst zum Leitsatz, dann zum Koan, einem Zen-Rätsel: Ja, aber…!! Im Kloster mag das ja noch ganz wunderbar funktionieren. Hier sind die Tage klar durchstrukturiert, die Aufgaben klar verteilt. Aber wie soll das werden, wenn ich wieder rauskomme, wieder mit neuen, alten Entscheidungen konfrontiert bin? Wäre es da nicht hilfreich, wenn ich statt absoluter Entscheidungs-Abstinenz so was wie weises Entscheiden, weises Rosinenpicken, praktizieren und lernen würde?

Die US-amerikanische Meditationslehrerin Tara Brach behauptet, dass reine Emotionen eine Lebensdauer von gerade mal 90 Sekunden haben. Sticky, also klebrig, lähmend, langanhaltend, werden Gefühle erst, wenn wir sie durch unsere Lieblingsstrategien (das können neben bestimmten Handlungen auch die immer gleichen Gedankenkreise sein) wegdrücken und so daran hindern, sich von selbst wieder aufzulösen. Also, auch deshalb: Don’t pick and choose! Pick dir nicht die Rosinen raus! Denn nur dann merkst du, dass das, was du für begehrenswerte Rosinen hältst, in Wirklichkeit oft der Dünger fürs weitere Wachsen und Wuchern deiner eigenen schwierigen Emotionen ist.

Einer der wenigen Orte, an denen es in Tassajara doch noch Entscheidungen braucht, ist die wunderbare Klosterbibliothek. Sie ist in einer einfachen Hütte untergebracht, kaum zehn Quadratmeter groß, aber voll von wahren Schätzen buddhistischer, spiritueller und psychologischer Literatur aus zweieinhalb Jahrtausenden. Hier stehen zahllose Titel, die ich dem Namen nach schon lange kenne, aber noch nie in Händen gehalten habe: postmoderne Gedichtbände, Werke moderner amerikanischer und klassischer japanischer Zen-Lehrer*innen, Koan-Sammlungen… Was soll ich da zuerst lesen, in meiner spärlichen Freizeit? Ich kann mich kaum entscheiden, lese viele Bücher nur an. Als ich dann in den Vorworten von Zen-Büchern zweier verschiedener Autor*innen fast die gleiche Danksagung entdecke, werde ich ganz neugierig: „Ohne meinen Focusing-Partner, meine Focusing-Partnerin, ohne Klarheit, Mut und Entschlossenheit im Focusing-Prozess, wäre dieses Buch nie entstanden.“

Wow! Das will ich haben! Ich hatte schon vorher von Focusing gehört, aber nicht wirklich verstanden, was es damit auf sich hatte. Es ging wohl um einen dubiosen Felt Sense, auch um einen Felt Shift, den man irgendwie spüren, aber nicht wirklich beschreiben konnte. Sehr unklar, zu ungreifbar und vage hatte das für mich geklungen. Was ich da jetzt lese, klingt ganz anders. Oder hatte mich die Zen-Praxis einfach schon ein gutes Stück weit geöffnet?

Ich finde sogar Focusing, das grundlegende Standardwerk von Gene Gendlin, in der Klosterbibliothek, begreife aber auch, dass ich diese Methode nicht mal eben so neben einer fordernden Kloster-Praxis, wahrscheinlich auch nicht einfach durch das Lesen eines Buchs, lernen werde. Also bleibe ich erstmal bei dem, was mir hier abverlangt (oder geboten?) wird: in Stille sitzen, Gefühle kommen und gehen lassen, keine Rosinen picken.

Antworten auf viele große Fragen ergeben sich nach der Zeit im Kloster dann fast von selbst. Ich leite den lange ersehnten Berufswechsel ein, bringe eine Klarheit in meine Beziehung, die rasch zu ihrem Ende führt – das alles binnen zwei Monaten nach meiner Rückkehr. Was war geschehen, wie war mir das möglich? Einer von vielen Aspekten dessen, was ich im Kloster erlebt hatte, lässt sich vielleicht aus psychologisch-behavioristischer Perspektive als Extinktion, als Löschung maladaptiver Reiz-Reaktions-Muster, beschreiben. Wenn ich meinen emotionalen Stress eine Weile lang nicht mehr durch alt-unbewährte, aber eben auch unbewusst-automatische Lieblingsstrategien (Social Media, Netflix, Schokolade) wegdrücke, verlerne ich diese Strategien allmählich, räume damit regelrechte Blockaden aus dem Weg. Und mache so das Feld (zugegeben, spätestens hier verlassen wir den Bereich des Behaviorismus) frei für neue, überraschende, kreative Ansätze. Oder anders, in der Focusing-Terminologie, ausgedrückt: Da entsteht Freiraum!

Eine weitere Entscheidung, die sich nach der Zeit im Kloster einfach manifestiert: Ich beginne eine einjährige Focusing-Ausbildung, starte damit eine faszinierende, erfüllende, manchmal auch erschöpfende Forschungsreise. Begeistert nehme ich gleich am Anfang den Ansatz vom Freiraum und Herausstellen auf. Was immer mich blockiert, meinen kreativen Gestaltungsspielraum zuschnürt, kann ich – gedanklich oder tatsächlich – aus mir herausstellen. Ich kann ein beliebiges Objekt, (etwa einen Stein, eine Muschel, einen Tannenzapfen) mit dem Thema belegen, es dann irgendwo im Raum positionieren, geduldig nach einer Position suchen, die sich stimmig anfühlt. Hinter mir, nur weg damit aus meinem Blickfeld? Oder halb links vor mir, so dass ich den Blick frei habe, Objekt und Thema aber immer noch am Rande meines Blickfelds wahrnehme? Oder fühlt es sich aus irgendwelchen Gründen doch rechts von mir richtiger an?

Wie spielerisch das ist! Ich fühle mich mal an systemische, mal an schamanische Ansätze erinnert. Was für ein Unterschied, was für ein Kontrast zur Zen-Praxis! Oder etwa doch nicht? Gewiss, statt das Thema mehr oder weniger geduldig durchrauschen zu lassen, nehme ich mich ihm hier ganz gezielt an. Das ist ein klarer Gegensatz. Dann die Idee vom Freiraum allgemein: Ich sorge beim Beginn des Prozesses gut für mich, gut für das „weiche Tier meines Körpers“, wie es die amerikanische (und in meinem Zen-Kloster übrigens hoch verehrte) Poetin Mary Oliver nennt. Konkret: Möglicherweise friere ich an den Füßen, ziehe mir erstmal ein Paar Socken an. Möglicherweise brauche ich noch eine warme Strickjacke, eine Tasse Tee. Oder ich bemerke erst jetzt, weil mich meine Begleitperson zum Spüren einlädt, dass ich doch noch mal dringend aufs Klo müsste, bevor ich wirklich offen in  einen intensiven Prozess gehen kann. Klingt vielleicht banal – und nach dem genauen Gegenteil von der Zen-Praxis, die ich kennengelernt habe: Du frierst, schwitzt, musst mal pinkeln? Macht nichts, bleib einfach sitzen! Aufgestanden wird, wenn die Meditationsperiode endet. Inkompatibel? Hmm… Das zugrunde liegende Prinzip, so merke ich nach einer Weile, ist letztlich dasselbe: Freiraum – also Befreiung von verkrusteten Verhaltens-, Gedanken- und Gefühlsmustern, von emotional-somatischen Blockaden und Verspannungen – schaffen beide Ansätze, wenn auch auf radikal unterschiedliche Art.

Neben dem körperlich-geistigen Erleben meiner ersten Focusing-Prozesse faszinieren mich auch die Ideen und Begriffe, die ich in der Ausbildung kennen lerne – und die mir aus der Zen-Praxis seltsam vertraut vorkommen. Da ist Gene Gendlins radikal ganzheitliches Konzept von Körper, das auch Gedanken, Gefühle und innere Bilder mit einschließt. Im Zen spiegelt der japanische Begriff Shin diese Idee wieder. Ein Wort, mit dem sich Shin wirklich stimmig übersetzen ließe, fehlt im herkömmlichen deutschen Vokabular. Stattdessen wird deshalb oft die Neuschöpfung Herzgeist genutzt: Sie impliziert die Auflösung der Dualität von Körper und Geist – und kommt damit Gendlins Körper-Konzept nah.

Dieser Körper, so lerne ich in der Focusing-Ausbildung, enthält bereits alle verfügbaren Informationen über Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft. Wie bitte?, hätte ich bei so einer Formulierung noch vor einigen Jahren gedacht. Jetzt erscheint mir das, jedenfalls auf einer gewissen nicht-sprachlichen Ebene, ziemlich stimmig, schlüssig, fast naheliegend. Vielleicht auch, weil der japanische Zen-Philosoph Dogen Zenji (dessen ebenso gesammelte wie rätselhafte Werke ich in der Klosterbibliothek anlesen konnte) eine ganz ähnliche Formulierung schon im 13. Jahrhundert geprägt hat?

In meinen ersten Focusing-Prozessen mache ich diese Erfahrung jetzt selbst – ganz verkörpert und immer wieder. Von Prozess zu Prozess scheint sich das gleiche innere Muster zu wiederholen, auch wenn die Themen jeweils andere sind: Meine Begleitperson hält den Raum, der Prozess entfaltet sich, irgendwann stellt sich ein Felt Shift ein. Irgendwas hat sich verändert, geklärt. Klarheit über den nächsten Schritt hat sich eingestellt. Ich weiß jetzt, was zu tun ist.

Ich weiß auch, dass ich das alles irgendwie schon vorher gewusst hatte. Ich hatte es nur nicht wahrhaben wollen: zu anstrengend, zu schwierig, vielleicht auch zu schmerzhaft war mir irgendein Aspekt der gefundenen Lösung wohl erschienen. Und überhaupt, was war mit der Langzeitperspektive? Bevor ich bereit gewesen wäre, den nächsten Schritt zu gehen, hätte ich erstmal Klarheit zum übernächsten und überübernächsten Schritt haben wollen, und zu so vielen folgenden Schritten wie nur möglich. Bevor mein Alltagsbewusstsein bereit ist, den ersten Schritt zu machen, will es – das wird mir in meinem Focusing-Prozessen nun immer klarer – oft erstmal wissen, wo die Reise eigentlich enden wird, und dass ich dort auch gut ankommen werde. Unmöglich? Nicht nur das: die perfekte Blockade!

Im Focusing-Prozess stellt sich langsam eine Akzeptanz, ein intuitives Wissen, eine echte Gegenwärtigkeit, ein: So ist es jetzt also, das also ist der nächste Schritt. Mehr Informationen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in meinem Herzgeist wohl gerade nicht abrufbar. Mehr Informationen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden sich aber entfalten oder offenbaren, wenn ich erstmal den nächsten Schritt gehe. Und mit diesem Wissen gibt es auf einmal auch ein tiefes, entspannendes, fast freudiges Einverständnis zu diesem Schritt. Das ist jetzt also dran. Anstrengend, schwierig, schmerzhaft ist also nicht unbedingt der nächste Schritt selbst, sondern viel mehr der Widerstand gegen die vielleicht mit ihm verbundenen Unannehmlichkeiten, auch gegen die Tatsache, dass es nur ein Schritt von vielen ist, dass ich gerade im wahrsten Wortsinn nicht weiter weiß.

Nicht wissen – noch so ein Begriff, in dem sich Zen und Focusing begegnen. Meine Focusing-Ausbilder*innen laden mich immer wieder zum Nicht-wissen ein. Und „nicht wissen ist am intimsten“, heißt es in einem berühmten Zen-Koan. Bedeutet, jedenfalls nach meinem persönlichen Verständnis: Jeder Versuch, die Dinge mit Hilfe von elaborierten, auf Worte gestützten Erklärungen zu fassen, muss daneben gehen, genauso wie jeder Versuch, die Dinge weit in die Zukunft hinein verbindlich zu planen. Wer das trotzdem tut, verengt seine Handlungsspielräume, stellt Vorbedingungen an mögliche Lösungen: Eine gute Lösung muss dazu beitragen, mich in drei, fünf oder zehn Jahren an ein bestimmtes, irgendwann mal klar abgestecktes Ziel zu bringen. Das erzeugt Druck, Spannung, Stress. Wie befreiend dagegen der Focusing-Ansatz: Welcher nächste Schritt fühlt sich jetzt stimmig an? Für welchen nächsten Schritt gibt mir mein Körper (der meine Langzeitpläne natürlich kennt und einbezieht, sie aber nicht als diktatorische Alleinherrscher akzeptiert) sein Einverständnis, und zwar jenseits von Erklärungen und Worten, von Müsste und Sollte? Der Zen-Lehrer Shunryu Suzuki hat dafür den berühmten – und in meiner Focusing-Ausbildung ebenfalls oft verwendeten – Begriff vom Anfänger*innen-Geist geprägt.

Mir gefällt, wie sehr Focusing und Zen-Praxis einander befruchten, ganz praktisch und begrifflich. Focusing hat (wie viele andere psychologische Methoden) den Anfänger*innen-Geist übernommen. Dafür sind der Felt Shift und vor allem der Felt Sense längst in den Wortschatz nicht nur des Zen, sondern von spirituellen Lehrer*innen und Psychotherapeut*innen ganz verschiedener Schulen eingegangen. (Seit meiner Focusing-Ausbildung begegnen mir die Begriffe gefühlt in jedem zweiten Buch, das ich lese.) Mich berührt, dass sich hier so viele Verbindungen und Wechselwirkungen bilden, dass ganz verschiedene Traditionen zusammen kommen, um einen neuen, in unserer Zeit dringend benötigten Weg des Wissens und Seins zu erforschen, dabei auch ein neues Vokabular für bisher unklare Phänomene entwickeln.

Wenn ich mich mit meinem Herzgeist auf dieses Feld, das verschiedenen Traditionen als Begegnungsstätte dient, hervorwage, mache ich immer wieder transformative Erfahrungen, erlebe Einsichten und zutiefst verkörperte Felt Shifts. Hier kann ich ein und dieselbe Sache auf einmal auch aus verschiedenen Perspektiven betrachten: So üben wir im Zen, still zu sitzen und unsere Gedanken zu beobachten. Wir sind nicht mehr unsere Gedanken, identifizieren uns nicht mehr mit ihnen. Veränderung geschieht also nicht mehr aus der alten Struktur – den Gedanken – heraus. Sondern durch den veränderten Blickpunkt, die veränderte Beziehung.

Genau so erlebe ich letztlich den Focusing-Prozess: Ich beobachte meine Gedanken (und die weiteren sogenannten Explizierungen des Felt Sense, also Gefühle, Körperwahrnehmungen, innere Bilder). Dabei stellen sich dann neue Verbindungen, Beziehungen und Perspektiven her. Anders als beim Zazen, der Zen-Meditation, muss ich das alles aber nicht alleine machen. Stattdessen fasse ich meine innere Erfahrung in Worte, und meine Begleitperson spiegelt sie mir durch sogenanntes Saying Back – also durch Wiederholung der besonders bedeutungsvoll erscheinenden Anteile meiner inneren Berichterstattung – zwecks besserer Beobachtbarkeit zurück. Dadurch entsteht nicht nur eine neue Lösung, ein neues Erleben meines aktuelles Themas (was schon spektakulär genug wäre). Ich begreife mit der Zeit auch intuitiv, dass sich bestimmte Muster (wie das oben beschriebene) in meinen Prozessen wiederholen, kann Muster, die sich unstimmig anfühlen, besser loslassen, und dafür andere, stimmigere, bewusst oder sogar unbewusst reproduzieren – innerhalb und immer mehr auch außerhalb von formellen Focusing-Prozessen.

Wenn ich diese letzten, eben geschriebenen Zeilen und Absätze noch mal lese, meldet sich gleich ein innerer Anteil zu Wort: Da hast du dich jetzt aber mit deinen Erklärungen ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt, ganz schön weit vom Nicht-Wissen entfernt! Er will und darf gehört werden, dieser Anteil. Seine Weisheit hat einen Wert: Was ich hier schreibe, ist Exploration, nicht Resultat.

Und ich will weiter explorieren, weiter erforschen wie sich Focusing und Zen befruchten können. Neben den oben beschriebenen Schnittstellen gibt es für mich immer noch Reibungspunkte. Dass Zen-Training oft zu verlangen scheint, Empfindungen, Gefühle und Gedanken ohne jegliche Reaktion kommen und gehen zu lassen, während der Focusing-Prozess vorzuschlagen scheint, allem, was entsteht, erstmal seinen eigenen Raum zu geben, klingt auf der einen, rein kognitiven Ebene vielleicht wie ein unüberwindbarer Widerspruch, ist in der Praxis auch nicht immer leicht (aus)zuhalten. Doch auf der Ebene des Felt Sense wird aus dem scheinbaren Widerspruch ein fruchtbares Spannungsfeld – auf dem dann neue, frische Einsichten gedeihen können.

 

 

 


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