Durch eine Veranstaltung des Internationlaen Focusing Institutes (TIFI)wurde ich auf die Kombination von Focusing und Journaling aufmerksam. Viele Leser:innen werden Erfahrungen mit Tagebuch schreiben gemacht haben. Dabei findet ein chronologisches Aufschreiben von Erlebnissen und Gedanken statt. Menschen, die zeichnen können, haben sicher schon früher auch Zeichnungen in ihren Tagebüchern eingefügt. Wobei vermutlich das Malen mehr dekorative Form hatte. Im Gegensatz dazu ist das focusingorientierte Journaling eine schriftlich-visuelle, themenbezogene Reflexion, bei der neben Worten auch Zeichnungen, Collagen etc. als Ausdrucksmittel eingesetzt werden. Die grafischen Teile haben keinen dekorativen Charakter mehr, sondern unterstützen den Prozess und haben eine eigene Aussage.
Bei der Veranstaltung des TIFI leitete Dana Herczbergs den Workshop und begeisterte mich sofort. Ihre Arbeitsweise mit ganz einfachen Vorzeichnungen Struktur und Halt in das Schreiben zu bringen, entsprach so sehr meiner Arbeitsweise im Focusing mit Kindern. Es blieb nicht bei dem einen Workshop und schließlich boten wir gemeinsam Workshops an.
Als Beispiel für solche Vorzeichnungen verlinke ich die Figur "Beeing With" von Dana Herczbergs. Der Lebkuchenumriss wird von vielen Menschen im Focusing mit Kindern benutzt. Bisher habe ich ihn vor allem eingesetzt, um Körperstellen einzutragen, die besondere Aufmerksamkeit benötigen.
Schon immer war es für mich so, dass ich etwas neu kennenlernte oder wiederentdeckte und dann sofort suchte, ob ich das Neue mit Focusing für Kinder kreuzen könnte. Das war hier keine Frage, denn ich bot neben Malen schon immer auch verschiedenste Formen von Schreiben, wie z.B. kleine lyrische Formen oder Kombinationen von Schreiben und Malen an. Nur hatte ich noch nie Vorzeichnungen angeboten, da ich mich für talentfrei in Sachen malen halte und zudem möchte, dass die Kinder ihre eigenen Ausdrucksweisen finden. Aber die sehr einfachen Zeichnungen von Dana ermutigten mich, es doch auch einfach mal zu probieren, so eine Vorlage zu entwerfen. Gleichzeitig zeigte mir meine 10jährige Enkelin immer wieder, dass Zeichnen auch eine Technik ist, die in kleinen Schritten geübt werden kann.
So begann ich mit zwei ganz einfachen Zeichnungen, den Kindern das Prinzip zu erklären, wie sie nach dem Gruppenfocusing mit Hilfe der angebotenen Skizzen oder noch besser, einer selbstgefundenen Form, die Arbeit im Sinne von Selbstfocusing weiterführen könnten. Da ich überwiegend in schulischen Kontexten arbeite sind die Kinder mit vorgefertigten Arbeitsblättern sehr vertraut. Umso wichtiger war es mir, die Kinder zu ermutigen, eigene Ausdrucksweisen zu finden und auch mit den Vordrucken völlig frei umzugehen.
Es klappte auf Anhieb gut: ungefähr die Hälfte der Kinder nahmen dankbar eine Vorlage um dann ganz kreativ und unterschiedlich damit umzugehen. Die andere Hälfte der Kinder nahmen weiße Blätter und entwickelten eine eigene Form.
An einem Beispiel möchte ich zeigen, wie ich ganz konkret mit Focusing und Journaling arbeite. Das Unterrichtsbeispiel, fand in einer Gruppe von 23 evangelischen Schülern statt. Die reguläre Lehrkraft dieser Gruppe hatte mich eingeladen, einige Male den Unterricht zu übernehmen, damit sie praktisch miterleben könne, wie Focusing mit Kindern in den Religionsunterricht integriert werden kann. Die Kinder kamen aus 4 verschiedenen Klassen und hatten bereits einige Male mit mir gearbeitet. Sie kannten Focusing und Journaling von der vorausgegangenen Stunde. Daher war das Prinzip klar und ich konnte nach einer einführenden Körperübung sofort mit dem Thema anfangen.
Wenn ich jemanden um etwas bitte, dann ist mir so komisch rund ums Herz (Junge, 9 Jahre)
In der Gruppe von 8-10jährigen Kindern befassen wir uns mit dem Thema „bitten“. Die Kinder erzählen von Begebenheiten, wo sie um etwas gebeten habe und die Bitte erfüllt oder auch nicht erfüllt wurde. Auch das Bittgebet findet Erwähnung.
Als mögliche Gestaltungsvorlagen lege ich die Skizze einer Kerze und einer Schale hin.
Genügend weißes Papier liegt daneben, damit schon vom Material her die Einladung ausgeht: finde und gestalte deine eigene Form.
Offen, wie es im Focusing üblich ist, lade ich die Kinder ein, alles da sein zu lassen, was mit dem „Bitten“ zu tun hat. Erlebnisse, Erfahrungen, bitten und gebeten werden, alles darf von innen auftauchen und es genügt, es wahrzunehmen. Nichts muss damit getan werden, ich unterstütze einfach mit der Stimme und kleinen Einladungen die Kinder, mit der Aufmerksamkeit bei dem Thema zu bleiben. Schließlich formuliere ich den Vorschlag, etwas zu dem Ganzen von „bitten“ in sich entstehen zu lassen.
Nach dem Gruppenfocusing holen die Kinder sich Papier, bedruckt oder unbedruckt und fangen an zu arbeiten, ebenso die Religionslehrerin. Es ist absolute Ruhe im Raum, manchmal wispern zwei Kinder, aber so leise, dass niemand gestört wird. Nur wenige Kinder melden sich, um sich bei mir nach etwas zu erkundigen. Meist geht es um technische Dinge wie „Darf ich auch mit Filzstiften malen?“
Immer wieder schaue ich auf die Uhr, weil nach dieser Unterrichtsstunde die Kinder in ihre Klassenzimmer zurückkehren müssen.. Aber die Konzentration ist so hoch, die Atmosphäre ganz dicht, ich kann nicht eingreifen und will es auch nicht. Wenn wir nicht ehr zur Reflexion dieser Phase kommen, dann holen wir das später nach. Jede Minute dieser intensiven Arbeit ist wertvoll und ich will nicht zu früh unterbrechen.
Schließlich ist das erste Kind nach 20 Minuten fertig. Ich öffne die Tür zum Gruppenraum als Einladung hier hinein zu mir zu kommen und sich auszutauschen. Zuerst erzählt der Junge, dessen Zitat ich oben angeführt habe. Während der Erzählung kommen langsam zwei weitere Kinder hin zu. Am Ende des kleinen Austausches sind wir zu 6. Die Zeit ist um und wir müssen alle die Arbeit beenden. Jedes Kind nimmt das eigene Blatt in der Religionsmappe mit, sodass in der kommenden Stunde noch ein Austausch mit allen Kindern stattfinden kann.
Schon nach dem Gespräch mit den 6 Kindern bin ich sehr überrascht über die Tiefe der Gedanken und Gefühle, die die Kinder ausgedrückt haben. Die Stunde fand kurz vor Weihnachten statt und zum Teil hatte ich etwas tiefere Überlegungen in Richtung Wunschzettel erwartet. Die Kinder hatten sich aber neben den geäußerten Wünschen sehr viel Gedanken über Bitten an sich gemacht. Sie berichteten von Angst vor Ablehnung, Scham und Peinlichkeit, etwas erbitten zu müssen und von dem Erleben des Machtgefälles im Bitten.
Besonders beeindruckt hat mich das Bild eines Jungen, der in großer Sorge um seinen Hund ist und einen Umriss von diesem gemalt hatte. Damit war seine größte Bitte sichtbar geworden. In dem Umriss schilderte er sein Anliegen, dass der Hund noch etwas Lebenszeit hätte. Außen herum schrieb er dann noch weitere Bitten.
Zwei weitere Stunden mit dieser Arbeitsweise schlossen sich an und bestätigten die Erfahrung des geschilderten Unterrichtsbeispieles. Für mich hat sich gezeigt, dass Focusing und Journaling sich hervorragend zum Selbstfocusing für Kinder ab ca. der 3. Klasse eignet.
Wer ein wenig ins Focusing mit Kindern hinein schmecken mag, der hat die Gelegenheit bei der kommenden Impulskonferenz.
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