• +49 931 411368
  • Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Der Focusing-Blog

Ich spür Banane blau

Ich spür Banane blau

 

 

„Ich spür Banane blau“

Diesen Satz hörte ich vor vielen Jahren bei einem achtjährigen Mädchen. Seit ich ihn aufgeschnappt habe, begleitet er mich, weil er für mich die Welt des Focusing mit Kindern auf gelungene und poetische Weise zusammenfasst. 

Ich gab in einer Familienbildungsstelle eine Zeit lang Kurse für Kinder. Jeder dieser Kurse entwickelte sich auf seine Weise. In dem Kurs, aus dem diese Aussage stammt, waren die Kinder völlig begeistert von Naturerfahrungsspielen im Zusammenhang mit Focusing. So entstand die Idee, am Ende der gemeinsamen Zeit ein Fest zu feiern, das mit lauter Wahrnehmungsübungen gestaltet werden würde.

Auch das gemeinsame Essen, das bei einem Fest ja nicht fehlen darf, sollte in irgendeiner Form eingebunden werden. So baute ich ein Buffet auf, das aus Obst, Gemüse und einigen kleinen Leckereien bestand, alles in mundgerechte Stückchen geschnitten. Neben Zahnstochern zum Aufpieksen der Lebensmittel gab es Forscherblätter. Dies waren DIN A4-Blätter, in sechs kleine Felder eingeteilt; für jedes probierte Lebensmittel war ein Feld vorgesehen. Die Kinder durften sich natürlich so viele Forscherblätter nehmen, wie sie wollten. Die Einladung an die Kinder war, beim Essen eines Stückchens Obst, Gemüse oder etwas anderem zu spüren, wie sie das innerlich erlebten. Sie hatten ja im Verlauf des Kurses geübt, wie sie so ein körperlich spürbares Fühlen über „das Ganze von Etwas“ finden konnten. Es war ein heiteres Treiben an dem Tisch mit dem Essen. Kosten, Schmecken, Malen geschah in einer bunten, fröhlichen Abfolge. Wer Kohlrabi nicht mochte, nahm davon nichts. Wer ausprobieren wollte, ob die roten, gelben, weißen und grünen Gummibärchen gleiches Erleben bewirkten, der musste wohl oder übel viermal zugreifen. Die Bäuche füllten sich mit den guten Häppchen und die Blätter mit bunten Klecksen, Formen und Gestalten.

Am Ende des Festes kamen die Eltern dazu und ließen sich von den Kindern erzählen, was sie gespielt und ausprobiert hatten. Dabei hörte ich, wie ein Mädchen seiner Mutter das Forscherblatt vom Buffet erklärte. Als es auf einen blauen Fleck zeigte, erklärte es: „Das war die Banane.“ Die Mutter erwiderte: „Aber Bananen sind doch gelb.“ Gelassen und doch mit Klarheit kam der Satz: „Ich spür Banane blau.“

Die ruhige Selbstsicherheit, mit der das Mädchen sprach, zeigte mir, dass Focusing Kinder stärken und in ihrer Entwicklung unterstützen kann. Sie lernen, auf ihr Erleben zu vertrauen und es auch auszudrücken. Für die meisten Kinder ist Focusing im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht. Sie haben oft noch einen guten Zugang zu ihren Empfindungen und Gefühlen.

Ich

Der Satz beginnt mit dem Wort „ich“, und das ist gut und stimmig. Es geht schließlich um dieses bestimmte Kind, ein anderes würde vielleicht schon beim Anblick einer Banane die Nase rümpfen und weitergehen. In dem Satz schwingt auch das Wissen mit: „Für mich ist Banane blau, für dich vielleicht ganz anders.“

Focusing unterstützt die Identitätsbildung des Kindes. Es lernt, auf seine Empfindungen, Gefühle und seine Intuition zu achten. Durch die Grundhaltung des Begleiters erfährt das Kind, dass es in Ordnung und willkommen ist, so wie es ist.

Vor allem aber lernt das Kind, innezuhalten und zu spüren, was gerade in ihm vorgeht. Von dort aus kann es bemerken, dass es ein „Ich und meine Wut, Angst ...“ gibt. Das bedeutet, dass die Emotionen nicht mehr völlig überwältigend sind. Es ist und bleibt ein langer Prozess, bis ein Kind so viel Selbstkompetenz erworben hat, dass es seine Emotionen gut regulieren kann und genug Selbstvertrauen hat, auf eigene Lösungswege zu vertrauen. Je nachdem, wie heftig die jeweiligen Emotionen sind, wird dies mal besser, mal schlechter gelingen.

Aber es beginnt mit der Klarheit: Hier bin ich, und ich habe Empfindungen, Emotionen, Themen, die ich wahrnehme und spüre.

spür

Genau darum geht es im Focusing: spüren, was gerade in mir passiert. Wie wirkt die Situation, mit genau diesen Menschen und Dingen, auf mich? Was kann ich hierzu körperlich wahrnehmen, was löst es in mir aus? Es können z. B. Emotionen auftauchen, Imaginationen oder etwas ganz anderes. Es können auch Gedanken kommen, dies sind aber vermutlich andere als die, die beim bloßen Nachdenken auftauchen würden.

Ich kann mich gut an Kinder erinnern, die als Konsequenz für „schlechtes Verhalten“, z. B. Raufereien, einen Besinnungsaufsatz schreiben sollten, um ihre „Fehler“ zu überdenken. Meist saßen sie völlig überfordert vor dem Blatt oder sie wussten, was der Erwachsene hören wollte. Der abschließende Satz, in dem eine halbherzige Entschuldigung stand und Besserung versprochen wurde, hatte nichts mit dem Kind zu tun. Wenn das Kind in einem Gespräch sagen darf, wie zu der Auseinandersetzung kam, wie es sich vorher, dabei und hinterher gefühlt hat, dann kann das etwas in ihm bewirken. Ich habe häufig erlebt, dass dadurch Einsichten kommen, aus denen eine ernst gemeinte Entschuldigung oder ein aufrichtiger Vorsatz entstehen.

Banane

„Banane“ ist wie ein Platzhalter für alle Themen des menschlichen Lebens. Zu jedem Wort, Gegenstand, zu jedem Menschen oder jeder Situation kann man eine körperliche Resonanz finden. Statt „Banane“ könnte da auch „meine Freundschaft mit X“, „Alles über meine Arbeitsstelle“ oder „Der Streit mit Y“ stehen. Das Vorgehen ist immer das Gleiche: Da bin ich und da ist das Thema; zu diesem kann ich etwas in mir spüren.

In meinem Beispiel geht es um Bananen. Ein Wort, das einen bestimmten Gegenstand bezeichnet. Es gibt eine klare Übereinkunft in unserer Sprache, welche Frucht damit verbunden ist. So verbindet jeder Mensch mit diesem Wort das gleiche Obst. Damit endet aber auch schon das Gemeinsame. Denn jeder Mensch hat ein anderes Bild zu der Frucht, unterschiedliche Erinnerungen, gespeicherte Geschmacks- und Geruchsvorstellungen. All das taucht auf, ohne dass es ins Bewusstsein kommen muss, wenn jemand das Wort hört. In der Focusingübung zur Banane ging es darum: Allem, was mit Banane verbunden ist, Zeit und Gelegenheit zu geben, in irgendeiner Form aufzutauchen.

In der Anleitung hört sich das ungefähr so an: „Nimm jetzt das Stückchen Banane, rieche daran und iss es dann in deinem Tempo. Vielleicht erinnerst du dich an irgendetwas, was du mit Bananen erlebt hast, oder du weißt auch schon einiges über Bananen. Alles, was für dich zu Bananen dazugehört, darf dazukommen. Und du spürst einfach, wie es dir geht, ob du etwas in dir bemerken kannst.“

blau

Das Kind spürt Banane blau. Wenn ich zu einem Thema eine körperliche Resonanz suche, so ist diese erst einmal vage und ohne Sprache. Verweile ich länger bei diesem körperlichen Spüren, so bildet sich daraus etwas, was in irgendeiner Form ausgedrückt werden kann. Häufig sehe ich spontane Bewegungen, die vielleicht nur ganz klein sind. Oder das Kind fängt an, etwas zu erzählen, was ihm zu dem Thema eingefallen ist. Farben zum Ausdruck zu benutzen fällt den Kindern eher leicht und gibt dem Ganzen immer einen spielerischen Charakter. Es geht nicht darum, eine richtige oder falsche Antwort zu geben. Diese Kategorien sind überflüssig und nicht anwendbar. Wer kann beweisen, dass ich Banane nicht blau spüre? Das nimmt Angst und schafft Freiraum, der ja zum Spüren unbedingt notwendig ist. Der Satz hätte auch heißen können: „Ich spür Banane laut“ oder „Mich macht Banane traurig“. Es hätte auch ein Geräusch kommen können wie „Mhh“.

Das körperlich Gespürte kann ich auf viele Arten ausdrücken; mit dem, was da kommt, lässt sich dann weiterarbeiten, wenn es nötig ist. In diesem Beispiel war nichts Weiteres notwendig. Es ging um leichtes Tun, mit Freude und Genuss. Ich selbst hatte lange die Vorstellung, Focusing wäre nur für Probleme und schwere Themen. Als ich anfing, in Konzerten focusingorientiert zuzuhören, bemerkte ich, dass ich den lebens- und genussvertiefenden Aspekt von Focusing unterschätzt hatte. Seitdem bin ich immer mehr auf der Suche, wie ich Focusing so anwenden und lehren kann, dass Freude und Leichtigkeit einen großen Raum einnehmen. Das Schwere kommt sowieso von selbst, die Kinder bringen es mit. Das darf dann da sein und es kann sich auch verändern. Mein Job ist es, dabei zu bleiben, bis klar wird: das Leben ist nicht nur grau, sondern bunt, und jedes Kind spürt Banane in seiner ganz eigenen Farbe.

Mit freundlicher Genehmigung des Arbor-Verlages

Bettina Markones
„Ich spür Banane blau – Focusing in
der Arbeit mit Kindern“

Arbor-Verlag Freiburg